Wer anderen eine Grube gräbt, ist selbst ein HaseAndcompany&Co. schlagen Kapital aus Marx und May (Archivkritik)

Bühnenfoto von West in peace

Foto und Bildrechte: Gregor Knueppel / HAU

Im Wilden Westen haben die Totengräber die Hosen an. Kapitalismusflüchtlinge haben hinter‘m AKW nichts verloren, außer es handelt sich um deutsche Dauer-Camper im Goldrausch. Wer anderen einen Pfeil durch’s Herz jagt, muss die Konsequenzen tragen und schon sehr bald selbst dran glauben. Indianer kennt kein‘ Schmerz. Karl M. - Karl May - Karl Marx…

Wer behauptet, man könne in Zeiten der Krise, sein kapitalismuskritisches Zelt im Vorgarten des Off-Theaters aufschlagen und von dort aus um jeden Zweifel erhabene Performance-Kunst Richtung Sonnenuntergang reiten lassen, der macht sich lächerlich. Die Performer von Andcompany&Co. behaupten das nicht, campen im HAU und machen sich stattdessen lustig. Über die Zahnarzt-Dichte im nur scheinbar links-intellektuellen Publikum. Über Steuerflüchtlinge im letzten Loch von Schweizer Käsespezialitäten. Über Fernsehpfarrer, Vegetarismus, Protestkultur.

Die Gruppe um Nicola Nord nimmt das Publikum in „West in Peace oder der letzte Sommer der Indianer“ für nur einen Euro (und dann noch einen und noch einen…) mit auf einen Campingtrip ins deutsche Hinterland. Hier tummeln sich Zwitterwesen aus Westernheld und Ost-Klischee, Gnome und Kaninchen. Man streitet sich, ob Gurkensalat kapitalistisch oder sozialistisch besser schmeckt und schon bei Sonnenaufgang liegt schwadenschweres Halbwissen aus der Marx- und May-Lektüre in der Luft.

Weil alle Vegetarier sind, kommen die Hasen nicht auf den Tisch, wie es sich gehört, sondern schön postdramatisch aus jeder Ritze des (fantastischen) Bühnenbildes, von wo aus sie bühnenreife Choreografien tanzen oder als Metapher dienen – nur für was? War da nicht was in Matrix? Donnie Darko? Oder bei dieser Alice…? Keine Zeit für Spekulationen – im Notfall sind sie „die hässliche Fratze des Kapitalismus“. (Oder die neuen Orangen auf deutschen Bühnen?) Und wenn es dunkel wird, liefern sie sich mit Fernseh-Gespenstern Floskelschlachten am Tresen des „El Dorado“. Noch Fragen?

Wenn die Companions ihre Revue aus Musik, Geschichte(n) und Gesellschaftsspiel passieren lassen, erfährt man (nicht) was Tofu mit Menschenfleisch und Kapitalismus mit Kanibalismus verbindet. Aber man darf raten. Ist es der lang schon verdächtige Neoliberalismus – oder doch der schnöde Wortwitz?

Man reitet im Track von Berlin Mitte über Radebeul zur Wolfsschanze nach Polen, wo der Führerbunker-im-Bunker steht. („Hallo, halloo!“) Zwischendurch wirft man ein weiteres Geldstück in den Schlitz, den Nabel des kulturbetrieblichen Dilemmas: Selbst die kritischste Kunst hat ihren Preis. Und hat man ihn einmal gezahlt, kann man sein Recht auf Unterhaltung geltend machen. Zur Not auch mit der Kettensäge. Aus Winnetous abgeschnittenen Zöpfen tropft dann kein Blut sondern Theaterschminke. Die ist auch schön rot. Die Eingeweide der Verblichenen sind strikt pflanzlich, weil Karotten – oder sie sind gleich genäht. Attrappe der Metapher. Klappe zu. Kennt ihr schon den…?

Am Happy End gibt’s immer noch keine Geschichte (und auch keinen Tod), dafür viel Protestpop. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ funktioniert in der Krise der Krise vielleicht nur mehr als neon-nostalgischer Abgesang mit mehr lachenden als weinenden Augen. Wenn selbst Anarchie sich reimt („Bambule Randale Linksradikale“) und die Intellektuellen ihre Schäfchen längst im Trockenen haben („Randale Bambule Frankfurter Schule“), werden wir verstehen, dass wir auch nach dem anhaltend ausbleibenden Systemcrash noch reichlich zu essen haben.

Andcompany & Co. machen Kapitalismuskritik in der Komplexitätsschleuder. Zum Kranklachen komisch, ohne dass einem je das Lachen im Halse stecken bleibt. Es gibt alles außer Lösungen. Dem allgegenwärtigen Vorwurf, selbst ein Teil der Maschinerie zu sein, die Geld zu Kunst macht und Kultur zu Kapital, kann sich niemand entziehen. Glücklich, wer das ohnehin nicht vorhatte: „Ich fühle mich ganz wohl in meiner Krisen-Burg.“ Applaus!

Kritik aus dem Archiv. West in Peace hatte schon im Winter 2009 Premiere.

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