Die Abwesenheit von ZweifelnVA Wölfls „Ich sah: Das Lamm auf dem Berg Zion, Offb. 14,1“ in Düsseldorf

Tanzende Füße

Foto: Simon Law (CC-By-Sa)

Der Marstall in Düsseldorf ist das Zuhause der Kompanie Neuer Tanz und ihres Künstlerischen Leiters VA Wölfl. Seit Mitte der 80er Jahre entwickelt sich hier ein Blick auf Welt und Kunst, der nicht nur besonders, sondern wichtig erscheint. Vor Kurzem wurde hier die Arbeit „Ich sah: Das Lamm auf dem Berg Zion, Offb. 14,1“ von 2008 wiederaufgeführt. Eine Aktualisierung.

VA Wölfl ist auf der Jagd. Es ist eine gemächliche Jagd, die sich der Eigensinnigkeit ihres wählerischen Opfers bewusst ist. Deswegen besitzt sie auch eins: Weile. Nichts passiert hier überstürzt, ohne Ort. Die Gegenstände und Bewegungen bekommen den Platz, den sie brauchen, um zu Bildern gerinnen zu können. Der Bühnenraum wird zum Ort der Möglichwerdung.

So legt sich bedächtig Schicht über Schicht, löst sich wieder auf, bis die konstruierte Komplexität gleichsam in den Raum eingeschrieben zur Illusion in den Köpfen der Zuschauer wird. Mit kühler Präzision werden zuerst die Performer im Raum angeordnet, diese ordnen Objekte an – stets so viel, dass ganz klar bleibt, womit hier operiert wird. Alles liegt offen, verschleiert sich nie, und doch ist genau in dieser vermeintlichen Einfachheit, in dieser Konzentration auf das wirklich Gute eine Vielzahl von Themen und Formen angelegt. Ohne Affirmation, als einfaches und bedachtes Arrangement, das niemals Träger eines Zweifels sein könnte, interagieren Diskurse von Kunst, Markt, Militarismus, Pornografie und religiösem Ritual als Verwandte. Es ist immer das Ding, das in seiner Doppelfunktion als Träger von materialistisch-ästhetischen und kulturell-pragmatischen Qualitäten im Mittelpunkt steht.

Mitten durch die Zuschauertribüne zieht sich ein Riss, ein rotierender Zypressengarten, der nicht nur die Sicht der beiden Zuschauerblöcke aufeinander stört, sondern auch den Blick auf das Bühnengeschehen selbst. Das findet zunächst im Halbdunkel statt, kaum mehr als eine flackernde Neonröhre erhellt ein Knäuel von Kupferdraht und einzelne Menschen, die der Reihe nach die Bühne betreten. Bunsenbrenner werden in Gang gesetzt, kein Licht, nur unsichtbare Wärme.

Zu einem Ballett weinender Performer dreht sich eine Reihe von Scheinwerfern am linken Bühnenrand. Gegenüber eine Reihe von Stühlen, die als offene Garderobe und Abstellgleis für nicht eingesetzte Performer – Gegenstände? – dient. Neben John Dowlands „Flow my tears“ liegt die fragmentierte urbane Landlust des Jeans Teams („Oh Bauer“) in der Luft. Aus der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit schält sich langsam die Anlage des Titels: eigentlich Standbild aus Sprache entsteht die Offenbarung 14,1 erneut in einer Anordnung performativer Objekte. Im rechteckigen Licht eines Diaprojektors erscheint der in den hinteren Teil der Bühne verrückte Kupferhaufen mit einem in der Pose verharrenden Tänzer als Schattenriss, der die Bunsenhitze auf der Bühne zum Feuer werden lässt – und Zion damit zum brennenden Busch. Diese einfache Setzung wird als Verfahrensklammer klar, die mindestens den Kern der choreografischen Arbeit in „Das Lamm“  zu erhellen scheint: Eine Menge an Bildern aus einzelnen Elementen, die selbst immer eine ästhetische Qualität besitzen fügt sich zur bewegten und bewegenden Collage zusammen. Niemals wird hier Material verschwendet, sondern das, was zur Verfügung steht, konsequent und organisch ausgeschöpft, zu Ende gedacht. Die Dinge reichen weiter hier.

Auch die Zuschauer, ja, das Zuschauen selbst unterwirft sich dieser Bewegung. VA Wölfl ist ein Meister darin, das Ende seiner Arbeiten über eine unbestimmte Dauer zu zersplittern. Am Ende bleibt nichts als ein Zögern – und die Verantwortung für Bewegung oder Stillstand letztendlich beim Einzelnen. Der Rezipient muss zum Akteur werden um seine Position erfüllen, behaupten zu können. Zerstreuter Applaus, einzelne erklären die Arbeit für beendet – und müssen beim erneuten Einzug einzelner Performer doch am Rand stehend das wirkliche Ende ansehen – das letztlich erst mit dem Hinübertreten in den Salon erfolgt, in die Kommunikation, das soziale Arrangement. Hier wird kein Schluss verschenkt – alles bleibt in Bewegung – Maschinen spinnen Kupferdrähte, produzieren damit das, was auch schon den Beginn gebildet hat: einen Berg aus Kupfer – der zu nichts Geringerem wird als wieder: Zion.

Und dann steht es vor einem, das Opfer, als ephemere Berührung: die Perfektion.

Kommentare deaktiviert  Verschlagwortet mit , , , ,

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.