Was hat die verschwundene Stadt Pompeji mit Pornografie zu tun? Und wie hängt der Playboy mit der US-amerikanischen Vorstadt im Kalten Krieg zusammen? Die spanische Philosophin und Queer-Theoretikerin Beatriz Preciado stellt in ihren architekturhistorischen Analysen Bezüge her, die sie für essenziell erklärt. Von prämodernen Fresken über ein geheimes Museum in Neapel lässt sich mit Preciado eine Geschichte der Pornografie bis zur Erfolgsgeschichte des Playboy ziehen. Sie beschreibt ein Geflecht aus Medialität, moderner Urbanität und Pornografie. Aber eins nach dem anderen und zurück zu Pompeji.
Im Jahr 79 n. Chr. war die antike Stadt bei einem Ausbruch des Vesuv verschüttet worden. Im 18. Jahrhundert kamen bei Ausgrabungen Fundstücke zum Vorschein, auf die die bürgerliche Gesellschaft nicht vorbereitet war. Mosaike, Fresken, Skulpturen und sogar Haushaltsgegenstände zeigten offen Geschlechtsorgane und sexuelle Akte. Man verwendete dafür den Begriff Pornografie – vom griechischen pórne „Hure“ bzw. pórnos „Hurer“ und gráphein „schreiben“, „zeichnen“, also Darstellungen von Prostituierten. Dabei handelte es sich bei weitem nicht nur um Fundstücke aus Bordellen.
Es folgte eine Debatte darüber, ob man die Fundstücke öffentlich ausstellen dürfe oder nicht. Die Obrigkeit reagierte mit rigiden Zensurmaßnahmen und verbannte die expliziten Stücke in einen geheimen Bereich eines Museums in Neapel. Nur Männer der Oberschicht durften sie sehen. Frauen, Kindern und Menschen der unteren Schichten war der Zutritt verboten. Der Literaturwissenschaftler Walter Kendrick schreibt die Geschichte dieses geheimen Museums in seinem 1987 erschienen Buch „The Secret Museum. Pornography in Modern Culture“.
Beatriz Preciado nimmt Kendricks Analysen zum Ausgangpunkt für eine Definition von Pornografie, die über einen Bildtyp hinaus geht. Für sie steht Pornografie für eine spezifische Beziehung zwischen Blick und Raum. Pornografie bilde ein Spannungsmoment zwischen Lust und Überwachung, schreibt sie in „The Architecture of Porn“ (2009). Wie beim geheimen Museum teilt Pornografie die Menschen und ihre potentiell erregbaren Körper in Gruppen ein: Diejenigen, die sie sehen dürfen und erregt werden sollen, stehen denjenigen gegenüber, deren Erregung überwacht und deren Blick „geschützt“ – im Klartext: abgeschirmt – werden muss.
Alter, Geschlecht, Ethnie und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe – das sind die Markierungen, an denen die pornografische Grenze verläuft. Identitäten und Körper werden aufgrund ihres Zugangs zu sexuell explizitem Material definiert. Mit der Erfindung der Pornografie in der Moderne wird der weiße Mann der Oberschicht laut Preciado zum hegemonischen Subjekt. Das entscheidende Kriterium dafür ist der Blick. Von den Frauen, denen dieser Blick verwehrt wurde, wird bis heute behauptet, sie haben weniger Interesse an Pornografie. Gleichzeitig – und begünstigt durch die Tabuisierung von Homosexualität (noch ein Unterschied zu prämodernen Gesellschaften!) – werden Frauen die prädestinierten Objekte pornografischer Darstellungen für den männlichen Zuschauer. Das spiegelt sich in den sogenannten Stag Rooms des beginnenden 20. Jahrhunderts wieder, in denen für ein ausschließlich männliches Publikum frühe pornografische Filme gezeigt wurden, die den nackten weiblichen Körper erkunden.
Die feministischen Auseinandersetzungen mit Pornografie – egal, ob sie zensurkritisch sind oder aus dem PorNo!-Lager stammen – haben sich jahrzehntelang (und nicht zu Unrecht) mit der fetischisierten Position der Frau beschäftigt. Preciado öffnet nun den Blick dafür, dass die männliche Position im Zusammenhang mit Pornografie ebenso historisch gewachsen ist wie die weibliche. Sie sagte kürzlich in einem Interview mit dem KulturSPIEGEL: „Die letzen 40 Jahre waren wir damit beschäftigt, Weiblichkeit und Homosexualität zu untersuchen. Jetzt ist es an der Zeit, Männlichkeit und Heterosexualität in Frage zu stellen.“
In ihrem Buch „Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im ‚Playboy’“ (2012) unternimmt sie genau das. Sie zeichnet nach, wie Hugh Heffner mit seinem 1953 erstmals veröffentlichten Magazin ein neues Männerbild kreiert: den verspielten, urbanen Playboy, der gerne in seinen vier Wänden ist, wo er sich mit schönen Dingen umgibt. Der Plaboy Heffner’scher Prägung ist alleinstehend oder geschieden, arbeitet nachts und feiert am Tag, wenn möglich im selben Raum. Der Hase symbolisiert diesen neuen Mann. Ja, richtig gelesen. Das Emblem war ursprünglich nicht die Verkörperung der berühmten Busenschönheiten, für die der Playboy berühmt ist. In einem ersten Entwurf von Arv Miller aus dem Jahr 1953 trägt der Bunny Morgenmantel und Pantoffeln, raucht eine Zigarette und trinkt Coganc. Er ist das mondäne Gegenbild zum Soldaten und Nachkriegsehemann der US-amerikanischen Vororte – das Symbol einer Revolution.
Im Gegensatz zu anderen Männermagazinen der Mitte des 20. Jahrhunderts interessiert sich der Playboy nicht für die Wildnis und die große weite Welt. Regelmäßig werden Entwürfe für Junggesellen-Appartements abgedruckt und ganze Möbelstücke und Raumkonstruktionen neu erfunden. Da wäre zum Beispiel das mit High-Tech ausgerüstete, rotierende Bett, von dem Mann alle seine Geschäfte tätigen kann. Oder auch die „küchenlosen Küche“, die den Playboy auf Knopfdruck ernährt , sich aber dezent verdecken lässt. Preciado beschreibt, wie in dieser Umgebung der Mann, der historisch mit dem öffentlichen Raum verbunden war, zum „Mann des Innenraums“ wird.
Das geschieht in der Zeit, in der die Frauenbewegung einen Platz für die Frau im Bereich des Öffentlichen einfordert und das Private immer mehr zum politischen Faktor wird. Aber der Playboy-Junggeselle ist kein Hausmann, den man parallel zur Hausfrau und Mutter entwerfen könnte. Er bricht vielmehr mit dem gesamten familiären Kosmos, dem Vorort als Refugium der weißen Mittelschicht und dem spießigen amerikanischen Traum. Stattdessen beschäftigt er sich in seiner Stadtwohnung mit Design-Objekten und mixt Cocktails. Ist der Playboy schwul? – Um Gottes Willen! Er ist zwar kein Vater und Ehemann, wird aber als unbedingt heterosexuell konstruiert. Hier kommt das Häschen wieder ins Spiel. Das andere Bunny nämlich: das Pin-Up Mädchen zum Auseinanderfalten. Sie steht, so Preciado, neben all den anderen „schönen Dingen“, die der Playboy präsentiert, für die „gesunde Heterosexualität“ des neuen Mannes und ist damit doch noch ein Zugeständnis an den Common Sense der Zeit.
Seit der Erfindung des Internets müssen öffentliche und private Räume, Körper und Technik, Blick und Bild neu verhandelt werden. Pornografie ist dabei immer noch ein Kristallisationspunkt, an dem sich die Gemüter erhitzen. Es ist viel Hysterie und wenig Distanz im Spiel, wenn über Cyber-Pornografie und Zugangsbeschränkungen diskutiert wird. Preciados Analysen können helfen, diese Debatten als Teil einer historischen Entwicklung zu betrachten. Denn wenn die Diskurse um Pornografie und Internet eins brauchen, dann sind es fundierte wissenschaftliche Standpunkte.
Dieser Text erschien bereits in der Berliner Gazette.