Irgendwie magicAnthony McCall im Hamburger Bahnhof

Der Hamburger Bahnhof beweist dieser Tage erneut seine Wandlungsfähigkeit. Noch Anfang letzten Jahres war die Haupthalle des Berliner „Museums für Gegenwart“ zunächst für Carsten Höllers „Soma“ in ein Indoor-Rentiergehege mit Übernachtungsmöglichkeit verwandelt worden, bevor sie sich dann mit Tomás Saracenos „Cloud Cities“ als ein begeh- bzw. bekrabbelbarer Erlebnispark für Kunstinteressierte präsentierte. Nun wurde der Raum in eine große Blackbox umgegebaut, in der riesige Zelte und Tunnel aus Licht von dünnen Nebelschwaden umwabert werden. Anlass für diese neuerliche Transformation ist die erste deutsche Einzelaustellung des Engländers Anthony McCall unter dem Titel „Five Minutes of pure sculpture“ (einer Referenz auf Henri Chomettes 1926 entstandenen Kurzfilm „Cinq minutes de cinéma pur“).

Der 1946 geborene McCall weist eine interessante Künstlerbiografie auf. Ursprünglich von der filmischen Avantgarde der Londoner Film-Makers‘ Co-op beeinflusst, begann er nach einem Umzug nach New York in den frühen 70ern mit der Arbeit an den Lichtprojektionen, für die er heute bekannt ist. 1973 entstand seine erste derartige Arbeit mit dem sachlich nüchternen Titel „Line describing a cone“. Ein Filmbild, das anfangs nur einen einzelnen Lichtpunkt zeigt, der im Laufe von 30 Minuten einen vollständigen Kreis beschreibt, wird auf eine Wand projiziert. Im Raum wird das projizierte Licht zunächst als einzelne Linie, später dann als eine dreidimensionale Form sichtbar. Die Arbeit bewegt sich so in einem Grenzbereich zwischen Zeichnung, Kinematographie und Skulptur.

Dieses Grundprinzip ist bis heute unverändert und findet sich auch in den Arbeiten im Hamburger Bahnhof wieder. Allerdings beendete McCall Anfang der 80er Jahre vorläufig seine Karriere als Projektionskünstler. Neben den damals schlechten Verdienstmöglichkeiten als Videokünstler hatte er vor allem mit einem technischen Problem zu kämpfen: Damit die Lichtstrahlen in den Installationen sichtbar werden konnten, durfte die Luft nicht zu klar sein. Die Lichtskulpturen benötigen Dunst als materielle Basis. In den staubigen oder verrauchten Ateliers und Kinosälen, in denen McCall seine Arbeiten anfangs präsentierte, war das kein Problem. Aber Museen waren zu sauber für seine Kunst und McCalls Versuche mittels Trockeneis oder brennender Kohle künstlich Dunst zu erzeugen waren wenig zufriedenstellend. Eine Lösung für dieses Problem brachten erst die ab den 90er Jahren verfügbaren, vor allem in Großraumdiskotheken eingesetzen Nebelmaschinen.

Zusätzlich inspiriert durch die neuen technischen Möglichkeiten, die die Digitalisierung eröffnete, nahm McCall 2003 nach mehr als 20 Jahren Pause seine künstlerische Arbeit an den sogennanten Solid Light Films wieder auf. Eine Auswahl der seitdem entstandenen Werke wird nun in der bisher größten Einzelausstellung überhaupt präsentiert. Neben den bereits in den 70ern genutzten horizontalen Projektionen sind hier auch vertikale Arbeiten zu sehen, die in ihrer räumlichen Wirkung den Aspekt des Skulpturalen noch stärker betonen.

Dabei handelt es sich bei den zweidimensionalen Animationen, aus denen die Lichtskulpturen entspringen, in der Regel um komlexe Formen, die aus den geometrischen Grundelementen von Kreis, Linie und Welle zusammengesetzt und in den meisten ausgestellten Arbeiten mittels eines Wipe-Überganges miteinander verbunden und ineinander verwoben werden. Das Ganze geschieht so langsam, dass die Bewegung weniger den Effekt eines dynamischen Wechsels, sondern eher den eines langsam pulsierenden, fast lebendigen Organismus erzeugt. Die so entstehenden Lichskulpturen erinnern weniger an klassische Filmprojektionen, als an seidige, schwach leuchtende Schleier, die von der Decke herab hängen. In regelmäßigen Abständen werden sie durch den Wasserdampf der Nebelmaschinen in eine plötzliche innere Bewegung versetzt.

Es ist zunächst einmal die erstaunliche Materialität des Lichts, die einen beim Betreten der Ausstellung ins Staunen versetzt. Man nähert sich den Lichtobjekten mit der Erwartung jeden Moment auf einen Widerstand zu stoßen oder am Licht kleben zu bleiben. Ein weiterer erstaunlicher Effekt besteht darin, dass insbesondere die horizontalen Projektionen, wenn man sie betritt und von innen heraus wahrnimmt, teils eine vollkommen andere Wirkung entfalten als man sie von außen erwartet. Die relativ transparenten Körper scheinen sich zu verfestigen und man findet sich in einem engen Tunnel aus Licht wieder, der nur manchmal von eindringenden Besuchern kurz durchbrochen wird. Die eigentliche Faszination der Arbeiten McCalls erschließt sich so vor allem in der körperlichen Interaktion mit den Exponaten, die zum Staunen und Spielen einladen (Das scheinen auch die zahlreich anwesenden Kinder so wahrzunehmen.). Die Ausstellung im Hamburger Bahnhof lässt sich letztlich vielleicht am besten mit dem Resümé einer Besucherin auf Nachfrage eines anwesenden Fernsehteams auf den Punkt bringen: „Irgendwie magic das Ganze.“

Anthony McCall „Five minutes of pure sculpture“ ist bis zum 12. August 2012 im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen.

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