Im freien Zwang gefangenDaniel Linehans „Zombie Aporia“ bei Tanz im August

Foto: Jean-Luc Tanghe (Alle Rechte vorbehalten)

Es ist eine große Herausforderung über ein Tanzstück zu schreiben, das nicht nur physisch kommuniziert, sondern genauso stark die Sprachebene bedient. Das ist zwar in der zeitgenössischen Szene schon längst keine Seltenheit mehr, doch die Text-Basis, die Daniel Linehan für sein Stück „Zombie Aporia“ geschaffen hat, ist bemerkenswert tiefgreifend und in sich geschlossen. Das Stück war beim Festival Tanz im August zu sehen, das vom 10. bis 25. August in Berlin stattfand.

Linehan lässt seine Performer ernste Worte mit dem Publikum sprechen, singen, lesen. Mit viel Charme und auf zum Schreien komische Weise, fragen sich die drei auf der Bühne nach dem Sinn des Seins. Gesungen, gerappt, mit jeder Menge Rhythmus und ins sarkastische überspitzt sorgen sie beim Publikum zeitweise für regelrechte Lachkrämpfe. Inhaltlich wird dagegen eine Ausweglosigkeit behandelt, die jedem auf der Seele brennt. Durch gut überlegte choreografische Brüche, präzises Timing und die Stimmgewalt Salka Ardal Rosengrens ereilt den Zuschauer hin und wieder ein Anflug von Melancholie – meist unerwartet, dafür umso intensiver. Unser alltägliches Handeln, das Verlangen nach Anerkennung, der innere Zwist zwischen Zufriedenheit und Zweifel – all das präsentieren Linehan und Co. in einem wirren Netz aus Bewegungs- und Sprachmustern. In manchen Situation gibt sich der Zuschauer dann zwar auch gelähmter Ratlosigkeit hin und grübelt, was es mit diesem wilden Treiben auf sich hat, aber damit ist die Sinnfrage dieser jungen Generation immerhin angekommen. Antworten sind häufig bei näherem Hinsehen keine mehr.

Ja, wir leben in einer Demokratie.
Ja, jede_r hat die Chance, etwas aus sich zu machen.
Ja. Wir wollen.

Doch wie oft wird starker Wille zu einem egomanischen „ich will!“ und daraufhin im Überdruck der Freiheit ertränkt. Unter ständiger Beobachtung, durch neue Technologien und Communities ist man gefangen in einem selbst geschaffenen Raum. Der Choreograf besingt genau diesen und setzt ihn mit starken medialen Ideen um. Auf einer Leinwand erscheint das vorab gefilmte Videobild der live performten Szene aus der Perspektive des Tänzers. Das Publikum wird also mit dem leeren Zuschauerraum konfrontiert und gerät, während Linehan sich stimmlich und physisch-emotional über seinen eigenen Wissensverlust entlädt, erneut ins Grübeln. Diesmal über die zur Live-Performance identischen Aufnahme, bis auf den Fakt, dass wir, die Zuschauer, fehlen. Wir sind nicht im Bild. Was ist unsere Position? Wo ist sie?

In Zeiten von PopKultur und Hi-Tech-Main-Stream-Fallen, setzt sich das Team rund um Daniel Linehan eindringlich mit ontologischen Fragen auseinander und artikuliert die kreative Recherche in einer ganz eigenen Sprache. Dabei stellt sich die Frage, ob das zynische Züngeln aus Mund und Gliedern vielleicht ausschließlich aus den eigenen Reihen richtig interpretiert werden kann – nämlich von eben der jungen Generation, die in einer immer hipper werdenden Welt im freien Zwang gefangen ist.

Lust bekommen auf mehr Texte über Tanz? Das Festival Tanz im August hat sich 2012 in Zusammenarbeit mit dem Berliner Tagesspiegel zum ersten Mal einen eigenen Festival-Blog gegönnt. Schönschrift-Autorin Katja Grawinkel hat mitgeschrieben.

Mehr zu Daniel Linehans Stück „Zombie Aporia“ gibt’s hier.
Katja Grawinkels Texte im Tanz im August-Blog gibt’s hier.
Ein Überblick über das Festival 2012 gibt’s hier.

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