Er fächelt Frischluft, bringt die nötige Abkühlung im klebrigen spanischen August. Kleine Bewegungen, rechts-links, links-rechts mit klapperndem Streichen in der Luft. Gefaltet oder genäht, mit Stäben oder Federn, verziert oder verworren – alles um das zu unterstreichen, was luftig umschmeichelt werden will. Fächer sind Blickfang und Versteck in einem und trotz ihrer vielfachen Einsetzbarkeit in großen Teilen Europas unüblich geworden. Als Nordeuropäer assoziiert man sie mit exzentrischen Regisseuren und stolpert darüber, wenn besprühte Plastikexemplare auf Barcelonas Prachtmeile, den Ramblas, zum Verkauf ausgebreitet werden. Aber bei genauem Hinsehen lässt sich anhand des Fächers viel über Spanien und die Bilder, die wir davon haben, erzählen.
Ein Fächer ist etwas für verlegene Überlegende und unterstreicht das nicht Gesagte auf direkte Weise. Betritt man heute das Museu Marés in Barcelona und geht vorbei an den endlosen Reihen von romanischen Christus-Figuren, Madonnen und Marmorreliefs, kommt man schließlich in das Sammler-Kabinett. Kleine Räume, schlaffes Licht, Vitrinen und Samtbezüge. Frederic Marès sammelte eigentlich alles. Und von diesem Allen hatte er so viele Objekte, dass er eigentlich jeden Tag seines Lebens zehn davon hat gekauft haben müsste, um diese Sammlung zusammenzubringen.
Ein wichtiger Bestandteil ist die Fächersammlung. Alle Größen, Formen und Erhaltungsgrade sind vorhanden, ob aus Seide, Papier oder Federn, mit Tinte oder Lack beschrieben, mit zarten Widmungen und verewigten Liebeserklärungen. Operndiven hatten damit gefächelt, als sie noch schön und begehrenswert waren, und Marés hat alle gesammelt. Hitze war gar nicht nötig, um sich Luft zu machen.
Liebesbriefe in Bildsprache – Oskar Kokoschka tuschte sie auf Fächer für Alma Mahler-Werfel. Und sie spielte damit, klappte sie auf, klappte sie zu, alles oder nichts. Die Mode breitete sich aus. Anfang des 20. Jahrhunderts waren Fächer beliebte Werbegeschenke, viel Platz um Botschaften zu vermitteln, nicht immer auf Liebe bedacht. Und auch heute noch wird in Spanien damit geworben: Ob All-inclusive im Ferienparadies oder auf Open Air-Konzerten, überall falten sie sich zusammen, blättern sich auf und breiten sich vor uns aus.
Der Fächer ist eng mit dem verwoben, was man die spanischen Seele nennen könnte. Oder wir verweben ihn mit ihr, ebenso wie viele Schriftsteller, die Spanien als Schauplatz ausgesucht und Lokalkolorit in ihre Sätze gespeist haben. Lion Feuchtwanger lässt an Goya Frauennachrichten über Fächer vermitteln und malt damit für uns ein Bild von Spanien, für das sich heute noch Penelope Cruz bedanken könnte. Die spanische Frau, die geheimnisvoll durch den vorgeschobenen Schutz aus Papier blinzelt, zieht sich durch Malerei und Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und überdauert bis heute.
Carmen wäre auch eine solche Figur, die wir mit dem Urspanischen verbinden. Sie tanzte wie Rilkes spanische Tänzerin und entfachte wie eine züngelnde Flamme ihr Umfeld, so dass es bis heute in ihrem Bann steht. Barcelonas Opernpalast, das Liceu, legte nun die Carmen-Inszenierung von Calixto Bieito als Saisonabschluss neu auf. Bizets Carmen ist ein Porträt der Zigeunerkultur Südspaniens und Calixto Bieito nimmt dies wörtlich. Er überträgt die französische Oper in die Welt der Gitanos, was in Frankreich oder Italien nach den Entwicklungen der letzten Zeit sicher zu einem Skandal führen würde.
Ein alter Mercedes fährt auf der Bühne vor und entlädt ein wildes Treiben an Goldkettchen tragenden Männern im Jogginganzug und ihren knapp berockten weiblichen Pendants. Über allem weht die spanische Flagge. Der Carmen-Mythos war vor allem durch die Franzosen im 19. Jahrhundert entstanden und Bizets Oper hat einen entscheidenden Beitrag zum modernen Spanienbild geliefert. Ein Bild, das romantisch verklärt noch bis heute zahlreiche Besucher anlockt. Ein Spanier inszeniert Spanien – viele Besucher, die Karten gekauft hatten, haben von ihm etwas Anderes erwartet. Vielleicht etwas Französischeres. Wäre das dann am Ende spanischer gewesen?
Calixto Bieito ist als Skandalregisseur bekannt, als einer, der mit nackten Sängern und orgiastischen Szenen arbeitet. In Berlin, wo er an der Komischen Oper inszeniert, lässt das die Leute vielleicht kälter als in Barcelona? Bei Carmen hat er auf sein übliches Skandalrepertoire verzichtet und statt dessen ein Fragezeichen in den Raum gestellt, das viel mehr wert ist: Was ist Spanien für uns? Wie sehen die Spanier sich selbst und wie sehen wir sie im heutigen Europa? Man muss darüber nachdenken, denn Carmen hat aufgehört zu tanzen und den Fächer fallen gelassen. Fragend starrt sie uns ins Gesicht.