Ganz in weiß im GefängnisKrabat in der Jugendstrafanstalt Berlin Charlottenburg

Mauer und Hecke

Foto: Josep Ma. Rosell (flickr.com/people/batega/) CC-By

„Hier gibt es keine Fluchtwege, nur Rettungswege. Das ist hier schon zum running Gag geworden“, lauten die einleitenden Worte. All unserer Habseligkeiten entledigt, den Personalausweis hinter den grauen, schweren Toren abgegeben, ist die Jacke alles, was wir mit rein nehmen dürfen. Dies ist keine gewöhnliche Theatervorstellung: Die zehn jungen Männer dieses Stückes sind Gefangene der Jugendstrafanstalt Berlin Charlottenburg.

Die Geschichte könnte nicht besser passen: Von Krabat, der – ohne Eltern – auszog, um sich in der rauen Welt und gegen die Mächte eines dunklen Zaubermeisters durchzusetzen. Die Parallelen werden deutlich. Am Ende siegt die Liebe über die dunklen Mächte.

Interessant ist hierbei die unwillkürliche Verquickung der bekannten Krabat-Erzählung von Otfried Preußler mit den anonym bleibenden Geschichten der Gefangenen. Ein doppelter Boden der Wahrnehmung entsteht, versucht man während des Stücks doch immer wieder in den Gesichtern der Gefangenen abzulesen, welche Umstände sie eigentlich hier her gebracht haben. Eine dritte Ebene umspannt das Ganze: Die Geschichte Krabats wurde von Regisseur Peter Atanassow mit dem Hörspielentwurf Rainer Werner Fassbinders „Ganz in Weiß“ verwoben und erreicht damit eine völlig unvermutete Qualität an Gefangenen-Psychologisierung. Hier geht es um die Situation schwererziehbarer Jugendlicher in den Heimen der Bundesrepublik der 1970er Jahre. Die Kombination ist doppeldeutig, umso mehr da es sich bei dieser Version um „echte“, eingesperrte Sträflinge handelt.

Im Gespräch mit den jungen Männern danach bricht die Anonymität ein wenig auf. Es blitzen die ganz einfachen Dinge des Lebens um die Ecke: „Ist schön, mal wieder mit Frauen zu reden. Hier gibt’s ja keine. Also nur die Angestellten, und die zählen nicht.“ Der Alltag der Jugendlichen ist straff organisiert, die Haftstrafen reichen von kleineren Delikten bis  hin zur Höchststrafe von zehn Jahren. Die Leistung der jungen Laiendarsteller ist durchaus beachtenswert und zwar ohne Mitleid oder näselnde Nachsicht in der Stimme. Diese Inszenierung kann sich ohne Scham mit etablierten Independent Theaterhäusern in Berlin messen. Umso erstaunlicher, dass die Kämpfe, das Singen, die komplexen Choreographien in nur acht Wochen so perfekt einstudiert wurden. Und das alles nach den üblichen acht Stunden Arbeit, vier Mal pro Woche.

Ob sie mit der Schauspielerei weitermachen wollen, wenn sie rauskommen? Klar, mal gucken. Perspektiven erschließen sich hier in jedem Fall. Bleibt zu hoffen, dass das Happy-End in Krabat eine weitere Parallele im Leben der Jungs ist.

Im Juni besteht wieder die Möglichkeit eine Vorstellung des Gefängnistheaters „Aufbruch“ mitzuerleben: Im Freiluftgefangenentheater der JVA Tegel inszeniert das Gefangenenensemble die szenische Collage „Don Quichote“ frei nach Miguel de Cervantes und Jewgenij Schwarz.

Erzählt wird die Geschichte des Alonso Quijano, eines kleinen Landadeligen, der auszieht um als Ritter gegen die Welt (und gegen sich selbst zu kämpfen). Und wieder steht der Stoff in engem Wechselspiel zum Alltag der Gefangenen: „Sein (Alonso Quijanos) sprichwörtlich gewordener Kampf gegen die Windmühlen steht für die Auflehnung des Gefangenen gegen die Lebensrealität hinter Gittern: Eine Realität, die ihn entweder kapitulieren oder zum unerbittlichen Streiter seiner Sache werden lässt“, heißt es in der Ankündigung zum Stück.

Nach der Premiere finden weitere Vorstellungen am 29. Juni sowie 1., 6., 8., 13. und 15. Juli 2011 jeweils um 18.00 Uhr (letzter Einlass 17.30 Uhr) statt. Auch hier besteht im Anschluss die Möglichkeit zum Publikumsgespräch.

Für den Besuch einer Vorstellung des Gefängnistheaters ist zu beachten, dass Karten nur im Vorverkauf und nur mit persönlicher Anmeldung erhältlich sind. Die Karten müssen bis spätestens 5 Tage vor der Vorstellung bei der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz abgeholt werden. Dabei müssen außerdem Namen, Meldeadresse und Geburtsdatum jedes Besuchers angegeben werden. Zum Besuch der JVA muss ein gültiger Personalausweis oder Reisepass vorgelegt werden.

Alle weiteren Informationen zum Stück finden sich auf der Website des Gefängnistheaters.

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