The ArtistWir müssen reden

Filmbild mit den Hauptdarstellern

Foto: Delphi Filmverleih (Alle Rechte vorbehalten)

Die Leinwand öffnet sich. Wir sehen einen Stummfilm, begleitet von Orchestermusik. Die Kamera fährt zurück und man begreift, dass der Stummfilm auf einer Kinoleinwand vor Publikum gezeigt wird und die Kapelle live im Kinosaal aufspielt. Dann ein Blick hinter die Leinwand, wo der Star des Films, George Valentin (Jean Dujardin), steht und seine eigene überlebensgroße Projektion betrachtet. Kurz darauf ist der Film zu Ende, das Orchester spielt die letzten Takte. Wir sehen das Publikum in frenetischen Applaus ausbrechen, als George vor die Leinwand tritt, und wir hören: gar nichts. Erst ein paar Sekunden später setzt die Begleitmusik wieder ein. Der Film, den wir sehen heißt „The Artist“ und ist ein Stummfilm. Zumindest tut er so.

Die Handlung in Kurzform: 1927. Der Stummfilmstar George Valentin ist auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangt, die Filmindustrie liegt ihm genauso zu Füßen wie die Boulevard-Presse und die schönen Frauen. Doch das Unheil für George naht in Form des Tonfilms, dem er sich stur so lange verweigert, bis ihn der finanzielle und künstlerische Bankrott ereilt. Nur die junge aufstrebende Tänzerin und Schauspielerin Peppy Miller (gespielt von Berenice Bejo), der George einst zu ihrer ersten Rolle verhalf und die inzwischen der neue Star der „Talkies“ ist, rettet George am Ende vor sich selbst. Und dann wird alles gut.

Neben einer klassischen Liebesgeschichte erzählt der Film von Regisseur Michel Hazanavicius also von einer unaufhaltsamen Medienrevolution. Wer sich dem technischen Fortschritt verweigert, so erfährt man, sei es aus Ignoranz oder aus Selbstüberschätzung, der wird untergehen. Die Handlung wird getragen von einem fantastisch aufspielenden Ensemble, angeführt von Jean Dujardin, der für seine Leistung bereits mit dem Golden Globe und dem Screen Actors Guild Award ausgezeichnet wurde und damit auch als ein Favorit ins Rennen um den Oscar geht. Es ist beeindruckend, wie alle Beteiligten scheinbar mühelos Stil und Gestus einer eigentlich nicht mehr praktizierten Schauspielform aufgreifen und wieder zum Leben erwecken.

Was den Film neben der schauspielerischen Leistung sehenswert macht, ist das Spiel mit der Selbstreferenz, das kunstvoll auf mehreren Ebenen gespielt wird. Denn „The Artist“ ist kein Stummfilm. Es ist ein Tonfilm, der in einer Stummfilm-Welt spielt. Die Figuren verhalten sich wie die Akteure eines Stummfilms, die Handlung wird mit den Mitteln des Stummfilms erzählt (über Zwischentitel und abgefilmte Zeitungsartikel wird man immer wieder über wichtige Entwicklungen informiert). Kurz: Die Oberfläche des Films lässt auf den ersten Blick keine Zweifel daran, dass es sich um eine liebevoll gemachte Hommage an eine vergangene Film-Ära handelt. Aber hinter der traditionell anmutenden Inszenierung verbirgt sich ein absolut heutiger Sinn für Ironie und Selbstreferenz. Der Klang der Welt scheint nur darauf zu warten, durch die stumme Oberfläche des Films zu brechen – und tut dies auch immer wieder, beispielsweise wenn George in einer Sequenz des Films auf einmal seine Umgebung hören kann. Das Stuhlbein kratzt plötzlich hörbar über den Boden, von draußen hört man Autos und die Stimmen von Menschen und auch das Whiskeyglas macht nun Geräusche, wenn man es auf den Tisch stellt. Nur George selbst bleibt unhörbar, ein Gefangener der stummen Welt. Gut, dass sich alles nur als böser Traum herausstellt und die Welt am nächsten Morgen wieder den Gesetzen des Stummfilms gehorcht.

Neben solchen Szenen, in denen der Selbstbezug auf der Formebene stattfindet, ist auch die Handlung des Films durchzogen von mal mehr, mal weniger offensichtlichen Selbstreferenzen und ironischen Kommentaren. So etwa, wenn Tonfilmdiva Peppy mit ausladender Gestik und Mimik in einem Interview verkündet, dass der neue Tonfilm ebendieses übertriebene Spiel ja nun glücklicherweise unnötig gemacht habe. Oder wenn Georges Ehefrau ihn per Zwischentitel doppeldeutig auffordert: „We have to talk, George.“ Die große Leistung des Films besteht bei all dieser Selbstbezüglichkeit darin, dass diese niemals aufgesetzt wirkt und gleichzeitig aus einer netten, unterhaltsamen Genre-Hommage einen wirklich interessanten, vielschichtigen Film macht.

„The Artist“ ist seit dem 26.01. 2012 in den deutschen Kinos zu sehen.
(Filmwebsite und Trailer)

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