Die Zeit (Nr. 28 / 2011) titelt diese Woche mit einem „Lob der Hochkultur“ und platziert damit eine verschmitzte Provokation in das Sommerloch, das Theater, Konzert- und Opernhäuser für die wohlverdienten Ferien und der Feuilleton für Grundsatzdebatten nutzt. Die Zeit-Kulturredaktion hat sich nicht weniger vorgenommen, als plausibel zu machen, „warum wir nicht preisgeben dürfen, was über Tausende von Jahren zum Maßstab der Zivilisation geworden ist“. Wir haben uns in Schönschrift auch so unsere Gedanken zur Hochkultur gemacht. Unsere Antwort: Hochkultur.
Während andere ganze Bücher damit füllen, die Frage zu beantworten, was Kultur ist, ist für Zeit-Autor Jens Jessen in puncto Hochkultur alles glasklar:
Jeder weiß, was damit gemeint beziehungsweise nicht gemeint ist: die neue Henze-Oper, aber nicht der König der Löwen, der neue Roman von Philip Roth, aber nicht der neue Thriller von Dan Brown.
Man könnte hinzufügen: Das was in der Zeit rezensiert wird und nicht in der Fernsehzeitung. Oder: Das was überhaupt in Kritiken und Rezensionen dem Kultur-Benutzer anempfohlen wird, statt einfach auf seiner automatisch generierten Empfehlungsliste bei amazon zu erscheinen. Aber das Eingebundensein des eigenen Berufsstandes streift Jessen nur am Rande. Schade eigentlich. Genau diese Verbindung von Kunst, Kultur und Kritik, die sich gegenseitig erzeugen und bestätigen müssen, wäre aus der Perspektive eines Kulturjournalisten interessant gewesen.
Aber was ist denn nun Hochkultur? Sie ist nicht Massen-, nicht Populär- und keine reine Unterhaltungskultur. Stattdessen ist sie tradiertes Bildungsgut und gesellschaftliche Trittleiter. Sie hat die Macht, darauf weist Terry Eagleton hin, zusammen mit der Politik – und noch stärker als sie – nationenbildend zu sein. Bei Thomas Assheuer (ebenfalls in der Zeit) ist sie das „Alte“, das uns im Internetzeitalter nicht mehr erreicht und berührt. Für Jessen ist eins ihrer Merkmale, dass sie aus öffentlichen Geldern finanziert wird, aber das setzt natürlich schon wieder ihren Wert als Allgemeingut voraus… Die Katze beißt sich in den Schwanz. Das Konzept der „Hochkultur“ bleibt diffus.
Der Literaturtheoretiker Terry Eagleton unterscheidet in „Was ist Kultur“ nicht Kultur und Hochkultur, sondern Kultur und KULTUR. Es zähle nicht der Inhalt von Kultur, sondern was sie bezeichne.
Und was sie heute bezeichnet, ist neben anderen positiveren Dingen die Verteidigung einer gewissen „Zivilisiertheit“ gegen freche Formen eines sogenannten Barbarismus. Da jedoch diese frechen Formen von Barbarismus paradoxerweise auch als besondere Kulturen angesehen werden können, kommt es zur Polarität von KULTUR versus Kultur.
Die Antwort auf die Frage “warum wir nicht preisgeben dürfen, was über Tausende von Jahren zum Maßstab der Zivilisation geworden ist“, wäre dann ganz einfach: Weil wir dann neu über diese Zivilisation und ihre Maßstäbe nachdenken müssten. Zum Beispiel, bemerkt auch Jessen, warum zur Hochkultur (wie zur höheren Bildung) nicht jeder den gleichen Zugang hat. Oder warum weite Teile der Gesellschaft in der Hochkultur nicht repräsentiert sind und sie damit immer mal wieder als Leit-Kultur instrumentalisiert werden kann.
Hochkultur oder KULTUR ist eine Auswahl, man könnte auch sagen ein Kanon. Aus den diversen möglichen Kleinigkeiten, die in einer kulturellen Landschaft entstehen, werden wenige ausgesucht, die fortan den Maßstab bilden. Eagleton: „Hohe Kultur stellt einen direkten Stromkreis zwischen dem Individuellen und dem Allgemeinen her, unter Umgehung alles willkürlich Partikularen.“ Und in Zeiten zusammengestrichener Kulturförderung und schrumpfender Feuilletons wird diese Auswahl immer exklusiver.
Wenn wir hier unsere Texte zur Hochkultur notieren, dann treffen wir genauso eine Auswahl. Wer schreibt, wählt individuell, worüber er berichten will und postet es dann in der Allgemeinheit der Schönschrift-Beiträge. Trotzdem versuchen wir uns vom Partikularen genau so inspirieren zu lassen, wie von unserem „zivilisierten“ Background. Dabei kommt Populäres auf die Agenda, Massen-, Produkt- oder Netzkultur. Wir halten die Augen nach Randständigem auf, das zwar zum Kulturbetrieb aber nicht zum Mainstream und schon gar nicht zum Kanon gehört. Besonders viel Freude macht uns der künstlerische Nachwuchs, dem wir uns ein bisschen verwandt fühlen und der noch in keinem festen Begriff verankert ist. Und natürlich notieren wir in Schönschrift jede Menge astreine Hochkultur.
Denn selbstverständlich lassen wir uns gerne von jeder Art Kultur berühren (Oh doch, Herr Assheuer!), welcher Begriff sie auch immer bezeichnet. Es ist nur so, dass einem im kulturellen Alltag ohnehin fast nur die Großen begegnen. Weil die Auswahl eben nicht nur jene ist, die die Zeitungsredakteure für ihren Kulturteil treffen, sondern schon vorher getroffen wurde. Es geht nicht „nur“ um Aufmerksamkeit sondern um finanzielle Fakten bei der Verteilung von Produktionsförderungen. Hier ist Hochkultur, wer nicht jede Saison um seine Mittel bangen muss, der Rest verschwindet. Und Hochkultur ist für uns, das Gespür für diese Produktionshintergründe der hehren Kunst mit notieren zu lassen.