Was haben eine analoge Fotografie, ein Fingerabdruck und ein DNA-Profil, der sogenannte genetische Fingerabdruck, gemeinsam? Erstaunlich viel, wird man feststellen. Zum Beispiel können alle drei zu erkennungsdienstlichen Zwecken verwendet werden oder als Beweis in einem Gerichtsverfahren. Damit gehören sie aus semiotischer – also zeichentheoretischer – Sicht zur Kategorie des Index (lateinisch: Zeigefinger). Indizes sind nach Charles Sanders Peirce Zeichen, die im Sinne einer Spur in physischer Verbindung zu dem stehen, worauf sie verweisen. Wenn der Fotograf auf den Auslöser drückt, schreibt sich sein Motiv in das fotosensible Material ein. Der beispielsweise bei der Polizei zu Identifizierende drückt selbst – nämlich seinen Finger, zuerst in die Tinte, dann auf Papier, wobei die Linien seiner Haut schwarz auf weiß zurück bleiben. Und der genetische Fingerabdruck? Nun, die begriffliche Nähe täuscht ein wenig über das höchst komplexe Verfahren hinweg, mit dem die Wissenschaft molekulares Material zur Visualisierung bringt. Doch vielleicht ist es grade diese Komplexität, die uns glauben lässt, die DNA sei das zuverlässigste Mittel zur eindeutigen Identifikation der Person, deren physisches Material vorliegt.
Paul Venouse stellt bei der transmediale.11 seine Installation „Latent Figure Protocol“ aus. Um seine bioartistischen Experimente ging es in der Diskussion „Fingerprints? Identity, Indexicality and Biomedia“ im Rahmen der „Body:Response“-Konferenz. Was ist „Latent Figure Protocol“? Zwei Kameras filmen zwei Glasträger mit DNA-Markern. Zwei Beamer werfen die Kamerabilder an die Wand und zeigen völlig unerwartete Bilder. An Stelle der aus Film und Fernsehen bekannten, rätselhaft einzigartigen Codes, zeigen die DNA-Sequenzen verblüffend vertraute Symbole: eine liegende Acht und ein © für Copyright. Es gibt andere Versionen der Installation, in denen sich beispielsweise ein Totenkopf oder ein Smiley abzeichnen.
Die Installation untergräbt damit gleich mehrfach den visuellen Code, der die Wahrnehmung von DNA bestimmt. Zunächst einmal wird die wissenschaftliche Technik als manipulierbar (und manipuliert) entlarvt. Weiterhin zeigt das DNA-Puzzle, das üblicherweise nicht wir selbst, sondern die TV-Forensiker von „CSI“ für uns entschlüsseln, bekannte Symbole und präsentiert sich darin als das, was es ist: eine kulturelle Konstruktion unter anderen, mit dem Unterschied, dass sie sich auf der Basis einer wissenschaftlichen Visualisierung zeigt und damit von einer Aura des Unzweifelhaften umgeben ist.
Dies berge unter anderem die Gefahr eines neuen biologischen Determinismus und Rassismus, so Jens Hauser, Kurator der Ausstellung „Fingerprints“, die zur Zeit in der Schering-Stiftung in Berlin einen umfassenden Einblick in Venouses Arbeit gibt. Neben Hauser und Venouse selbst diskutierte ein interessant zusammen gestelltes Panel diese und andere Gefahren.
Der Kriminologe Simon Cole, der unter anderem die juristische Relevanz des genetischen Fingerabdrucks erläuterte, warnte ebenso wie Hauser, dass die DNA dazu prädestiniert sei, die Hautfarbe in einem Diskurs über biologisch begründete Rassenmerkmale abzulösen. Hans-Jörg Rheinberger, der ehemalige Leiter des Max Planck-Instituts, ging anschließend auf wissenschaftliche Visualisierungsstrategien wie Vergrößerung und Verstärkung ein. Eins wurde dabei klar: Es ist keineswegs nur die Kunst eines Paul Venouse, die das DNA-Material biomedial manipuliert. Auch die scheinbar objektive Wissenschaft ist auf visuelle Verfahren angewiesen, um das Bild der DNA, die ansonsten natürlich unsichtbar bliebe, hervorzubringen.
Und so argumentiert Jens Hauser, dass der DNA-„Fingerabdruck“ auch in semiotischer Sichtweise kein Index sei, sich also doch von Foto und Fingerabdruck unterscheide. Die Moleküle seien zwar das Material, aus dem das visuelle Muster entsteht, doch dessen Positionierung, die das entstehende Bild ausmache, werde allein durch den angewandten Prozess bestimmt. Dieser ist reine Konvention und damit in den Kategorien von Peirce ein Symbol – eine kulturelle Vereinbarung von Bedeutung.
Die Ausstellung „Fingerprints“ läuft noch bis 26. März in der Schering-Stiftung, Unter den Linden 32-34.
In einer Performance am 5. Februar um 20 Uhr startet Paul Venouse einen neuen Prozess in der Installation „Latent Figure Protocol“. Sie ist noch bis zum 6. Februar bei der transmediale.11 im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.
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