Crux der FlexibilitätDer Landesverband Freie Theaterschaffende Berlin im Gespräch (Freischwimmer 2011)

Vor den Berliner sophiensælen: „Escape“ von sp38

Beim Freischwimmer Festival treffen sich Nachwuchs-Künstler, die nach der Ausbildung als freie darstellende Künstler arbeiten wollen, statt sich auf einen Job im Betrieb der Stadt- und Staatstheater zu bewerben. Wir haben den Berliner Landesverband Freie Theaterschaffende (LAFT) über Perspektiven in der Freien Szene und das Berufsbild der „Freischwimmer“ befragt. Anne Passow, Björn Pätz und Wenke Hardt beantworteten unsere Fragen per Mail.

Schönschrift: Was ist frei am freien Künstler?

Das Berufsbild des freien darstellenden Künstlers ist vor allem in seiner Widersprüchlichkeit zu sehen. Zunächst einmal ist ein Freier Künstler insofern frei als er sich selbst Mittel und Wege verschafft, die Kunst umzusetzen, hinter der er steht. Die Kompromisse, die dabei entstehen wie Zugeständnisse z.B. an die ursprüngliche Idee, die Antragsvorgaben angepasst wird, oder an die eigene Einkommenslage sind von ihm selbst abgewogen, heißt, es gibt ein hohes Maß an Selbstentscheidung und daher Identifikation mit der Arbeit.

Was ist der Unterschied, wenn man sich entscheidet, nicht an ein Stadt- oder Staatstheater zu gehen?

Im Vergleich zu einem angestellten Künstler, der ganz anderen Weisungen und Zwängen unterworfen ist,  birgt  freie künstlerische Tätigkeit ein höheres Maß an Flexibilität, künstlerischer Freiheit, Experiment, Erforschung von Prozessen etc. In diesen Freiheiten  liegt ein wesentlicher Motor für die immense Entwicklung und Kreativität der Freien Darstellenden Kunst in den letzten Jahren, aus der erwiesenermaßen wesentliche Impulse und Innovationsschübe im Theaterbereich kommen, die von den Stadt- und Staatstheatern wiederum aufgenommen werden.

Aber es gibt doch auch Nachteile, oder?

Hier beginnt die Crux des freien Künstlers: Dadurch, dass er selbstbestimmt und selbstverantwortet die eigene Kunst im Sinne eines Identitätsversprechens  produziert und die künstlerische Tätigkeit als Berufung betrachtet, nicht als Gelderwerb, passiert kreativer Output oft freiwillig auf dem Level der Selbstausbeutung. Das System, welches diese Ausbeutung erzwingt, wird durch die Kunst zwar kritisiert, nur ändert das nichts am System selbst, das sich durch die Inkorporierung der Kritik noch stabilisiert.

Was heißt das konkret? Gibt es Zahlen über diese „Ausbeutung“?

Durch den bundesweit angelegten Report Darstellende Künste, eine Publikation, die vom Fonds Darstellende Künste initiiert wurde, existieren jetzt deutliche Zahlen: So arbeiten inzwischen knapp über 50 % der darstellenden KünstlerInnen in freien Strukturen bzw. pendeln zwischen befristeten angestellten Arbeitsverhältnissen und selbständiger Tätigkeit hin und her. Ihr jährliches Einkommen liegt  bei durchschnittlich 11.500€ und somit um 40% niedriger als das durchschnittliche Jahreseinkommen aller Arbeitnehmer in Deutschland, eingeschlossen geringfügig Beschäftigter. Die Rentenprognosen für die Freien Darstellenden KünstlerInnen liegen im Durchschnitt unter 500 €.

Sich der politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge bewusst zu werden, innerhalb derer freies Theater produziert wird und zunehmend an Bedeutung gewinnt, während die festen Häuser mit ihren Apparaten und Gewerken, tradierten Abläufen und tariflich gebundenen Verträgen immer mehr in die Krise geraten, halten wir vom LAFT Vorstand für unumgänglich. Die Freie Darstellende Kunst mit ihren fluktuierenden, flexiblen und prekären Strukturen ist anpassungsfähiger an die Märkte eines neoliberalen und deregulierten Kapitalismus und zeichnet für einen Strukturwandel der Arbeitsmärkte, für den sie wohl so etwas wie ein Vorreiter ist. Ihre Akteure agieren nicht nur flexibel in ihren Mitteln, sondern auch multilokal. Sie sind wenig abgesichert und arbeiten teilweise sogar in gesetzlichen Grauzonen, die unvermeidlich an der Grenze zur Illegalität liegen (z.B. Stichwort Scheinselbständigkeit). Sie hangeln sie sich von Projektantrag zu Projektantrag, um präsent zu bleiben, in der Hoffnung, dass sich irgendwann eine Stabilität einstellt. Doch die ist aufgrund der Förderstrukturen und der geringen Ausstattung der Förderetats im Vergleich zu einer großen produzierenden Masse oft nicht in Sicht. Sieht man sich diese Kehrseite der Freien Darstellenden Kunst an, ist der Preis, der von einem Großteil der Szene gezahlt wird, hoch.

Wie tritt der LAFT dem entgegen und was tun einzelne Künstler?

Man wird an den Strukturen nicht unmittelbar etwas ändern, aber vielleicht mittelbar durch Vertretung gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und durch Einflussnahme auf die Produktionsmittel und -strukturen. Es sind Gegenentwürfe zur atomisierten Künstlerexistenz zu verzeichnen: Künstlerische Prozesse werden von Gruppen oft in Kollektivstrukturen verlegt, um über die Hintertür doch eine gewisse Nachhaltigkeit zu erreichen, so dass für den/die Einzelne/n Pufferzonen innerhalb des permanenten Produktionszwangs entstehen. Oder es gibt die Landesverbände, die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich stabil aufgestellt, aber doch deutlich als ein Zeichen für die zunehmende Selbstorganisation der Freien KünstlerInnen erkennbar sind.

Solche Interessenverbände sind vielleicht Paradoxien, weil sie eine ästhetisch und strukturell fast nicht zu bündelnde Szene in sich vereinen und ihr eine Stimme zu verleihen suchen. Aber diese kann dann gegenüber der Politik und der Wirtschaft erhoben werden, um dort ein Bewusstsein für den Strukturwandel und eine notwendige Nachhaltigkeit in diesem Bereich zu schaffen. Die Unkenntnis auf Seiten der  Politik über die Vielfalt, die Leistungen und die Produktionsbedingungen innerhalb der Freien Darstellenden Kunst ist noch eklatant verbreitet und solidarische Vernetzungsstrukturen werden im Zuge voranschreitender Kommodifizierung  immer wichtiger, um Freiräume für eine Kunstproduktion zu bewahren, die ihren eigenen Gesetzen folgt und nicht zum Ornament degradiert wird.

Konkret und mit Blick auf den nächsten Berliner Haushalt fordert der LAFT Berlin, gemeinsam mit dem TanzRaumBerlin Netzwerk, eine Etaterhöhung für die freien Gruppen und Spielstätten um 6 Millionen auf 10 Millionen €. Diese Erhöhung ist notwendig, um Honoraruntergrenzen für öffentlich geförderte KünstlerInnen einführen zu können, die derzeit nicht selten für 2-3 € pro Stunde professionelle Kunst betreiben und das Hauptstadtimage wesentlich prägen. Dafür führen wir gerade Einzelgespräche mit Politikern und der Kulturverwaltung des Senats und werden im Sommer auch öffentlichkeitswirksame Aktionen dazu organisieren. Wir sammeln jetzt schon Unterschriften dafür.

In Theater der Zeit (2/2011) war zuletzt von einer „Krise der Überproduktion“ in der Freien Szene zu lesen. Heißt das, es ist möglicherweise gar kein Platz für den Nachwuchs? Oder wo und wie müsste dieser Platz geschaffen werden?

Ja, es gibt diesen zunehmenden Druck der „Neuen“ auf die bestehenden Strukturen, da diese stark begrenzt sind. Die Jury für privatrechtlich organisierte Theater und Theater- und Tanzgruppen in Berlin vollführt regelmäßig den undankbaren Balanceakt, zwischen bewährten Gruppen und Spielstätten, die eine längerfristige Planungssicherheit verdienen und brauchen und neuen, nachrückenden Gruppen und EinzelkünstlerInnen zu entscheiden, um am Ende doch keinem der beiden Bereiche wirklich gerecht werden zu können. Das Berliner Fördersystem berücksichtigt in der Anlage eigentlich alle Stadien und deren Entwicklung – von der Einstiegs- bis zur Konzeptionsförderung -  allein die Etats von Projekt- und Konzeptionsförderung sind so gering bzw. über die Jahre geschrumpft, dass das Entscheidungsverfahren einem absurden Verschiebebahnhof gleicht, wo Geld, das hier ausgegeben wird, an einer anderes Stelle schmerzlich entbehrt werden muss, was von den Jurys auch regelmäßig kritisiert wird.

Die Antwort, wie der Situation der Überproduktion im Verhältnis zu den vorhandenen Strukturen zu begegnen sei, ist sicher nicht einfach. Sie liegt wesentlich in der längst anstehenden Anerkennung der Freien Darstellenden Kunst als einer professionell betriebenen und – wie die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestags bereits 2008 konstatierte – „unverzichtbaren Säule der Kultur“ und einer gemäßen und nachhaltigen Förderung dieser Säule. Die Entwicklungen zur Zeit zeigen, dass Wege aus dem Dilemma auch in neuen und auszubauenden  Formen der Kooperation zwischen festen Häusern und Freien gesucht werden.

Was ratet ihr jungen Künstlern, die sich als „Freie“ versuchen wollen? Welche Perspektive haben sie?

Neben der künstlerischen Qualifikation sind Managementfähigkeiten unverzichtbar, wenn man sich in der Freien Szene bewegt. An den Universitäten sickert diese Erkenntnis erst langsam durch und es werden innerhalb der Ausbildung auch Seminare angeboten, die die Bereiche Förderstrukturen, Projektmanagement, Versicherungen, Rechtsformen, Verträge, Künstlersozialkasse etc. beleuchten und vermitteln. Bisher gibt es da eine große Lücke innerhalb der Szene, die von Produktionsbüros und freien ProduktionsleiterInnen geschlossen wird, wenn man sie sich leisten kann. Es gibt von freien Trägern oder Hochschulen Weiterbildungsangebote, wo Künstler in diese Materie eingeführt werden.

Noch immer wird von vielen dieses Handwerkszeug Selbstmanagement als Einengung der eigentlichen künstlerischen Tätigkeit gesehen und deshalb niedrig eingestuft. Umgekehrt ist es aber der Fall, dass freie Projekte mit qualifiziertem Management ganz anders künstlerisch durchstarten können. Weiterhin raten wir natürlich, in den LAFT Berlin oder andere Landesverbände einzutreten, zum einen, um sich dort mit anderen KünstlerInnen zu vernetzen und um sich aus den oben beschriebenen politischen Gründen zu engagieren.

Sollte sich ein Festival wie Freischwimmer eurer Meinung nach neben der Kunst auch stärker mit dem politischen Kontext der freien Szene auseinandersetzen?

Ja, der politische Kontext sollte gerade von den Freien und den Festivals selbst mitgedacht, abgebildet und in die Diskussion gebracht werden. Die Sensibilität für die Belange der Freien scheint sich in Politik und Öffentlichkeit in den letzten Jahren zu erhöhen. Die Kontexte und die substanziellen Impulse oder Empfehlungen können aber am besten die Akteure selbst liefern. Es gibt da einen Nachholbedarf und auch eine gewisse Empfänglichkeit für Informationen und Austausch von Seiten der Politik und auch innerhalb der Szene kann die Thematisierung der politischen Kontexte nur förderlich sein.

Vielen Dank!

Der zitierte „Report Darstellende Künste.  Studie zur wirtschaftlichen, sozialen und arbeitsrechtlichen Lage der Theater- und Tanzschaffenden in Deutschland“ (Berlin 2010, Hg. Fonds Darstellende Künste) ist bestellbar unter: info [at] fonds-daku [dot] de

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