Die Lovefuckers, das sind die Puppenspielerinnen und Regisseurinnen Anna Menzel und Ivana Sajević. Sie haben ihr Team um einige Gäste erweitert und eröffnen heute abend in den Berliner sophiensælen mit „King of the Kings“ das Freischwimmer Festival. In der Ankündigung heißt es, es werde ein internationaler Politthriller mit Puppentheater, Videoclips und Musik. Im Mittelpunkt eine Hauptfigur, die tagespolitisch nicht interessanter sein könnte: Muammar al-Gaddafi, selbst erklärter König der Könige. Wir haben uns vor der Premiere mit Ivana Sajević unterhalten und in Schönschrift notiert, was sie zu erzählen hatte.
Schönschrift: Ich will dich gar nicht lange von der Arbeit abhalten. Ist ja wahrscheinlich gerade ziemlich turbulent bei euch.
Ivana Sajević: Klar, so kurz vor der Premiere.
Und mit Muammar al-Gaddafi behandelt ihr eine Person, die grade wie keine andere die Öffentlichkeit beschäftigt.
Ich habe mich schon lange gewundert, warum seit Jahren niemand etwas über ihn macht. Er hält sich seit über 40 Jahren an der Macht. Er ist Diktator und Politiker. Er war ein Idealist, hat Terroristen unterstützt, hat aber auch in den ersten Jahren viel getan, wofür eine Generation ihm sehr dankbar ist. Er ist eine Figur voller Widersprüche. Er hat sich vom Idealisten zum Despoten gewandelt und dass er sich permanent theatral inszeniert, das hat mich besonders interessiert. Er ist ein unglaublich guter Performancekünstler und erregt mit seinen Auftritten großes Aufsehen. Dieser verrückte, bunte Vogel, der überall sein Zelt aufbaut und sich weigert, in Hotelzimmern zu übernachten. Mit seiner weiblichen Leibgarde von mindestens 40 Frauen, die als Jungfrauen gelten und für die es ein eigenes Ausbildungslager in Tripolis gibt. Aus theatraler Sicht ist das alles so besonders, so originell, wie man das auch immer wertet.
Mit den aktuellen Entwicklungen in Libyen bekommt das eine völlig neue Dimension. Hättet ihr das geahnt, als ihr die Idee zu King of Kings hattet?
Die Idee gibt’s schon seit ein paar Jahres. Im Rahmen des Freischwimmer Festivals habe ich letztes Jahr die Konzeption eingereicht. Seitdem laufen die Vorbereitungen und seit Anfang Janur proben wir. Es gab einen Grundplot mit der dramaturgischen Setzung, die Revolution am Ende zu zeigen. Dann auf einmal kam sie tatsächlich und dann haben wir uns dramaturgisch ein bisschen verändert. In dem Sinne, dass wir gesagt haben, wenn das jetzt passiert, dann ist es hinfällig, das zu zeigen. Stattdessen konzentrieren wir uns stärker auf Gaddafi und seine Selbst-Inszenierung. Ihn als Performancekünstler.
Also habt ihr euch die Revolution als dramaturgische Setzung ausgedacht, und dann ist sie wirklich passiert?
Genau, das war meine Setzung und dann ging das in Tunesien los und dann haben wir während der Proben schon heiß diskutiert, dachten aber, in Libyen ist die Situation anders. Da hat Gaddafi sein Volk unter eiserner Hand und es ist nochmal viel schwieriger, weil er durch sein System alles viel abgeschlossener gehalten hat als in anderen Ländern. Da ist keine Presse nach außen gedrungen. Er hat da eine viel stärkere, autoritärere Führungshand gehabt. Wir dachten zumindest, dass es in Libyen nicht so schnell gehen würde. Oder dass der Aufstand schon im Vorfeld verhindert werden würde. Im Endeffekt ist es ja auch immer noch unentschieden und es wird ja gerade in diesen Tagen immer blutiger. Aber es war für uns total interessant, dass es doch einfach passiert.
Wie habt ihr die tagesaktuellen Entwicklungen in eure Arbeit einfließen lassen?
Wir haben schon zu Beginn der Proben jeden Tag eine Stunde zusammen gelesen. Ich hatte den Grundplot aus biografischen Elementen, wichtigen Personen und Ereignissen konzipiert und anhand dieses Szenenplots haben wir dann improvisiert. Mir war es wichtig, dass die Beteiligten nicht nur als Spieler funktionieren, sondern auch auf einem gewissen Wissensstand sind. Wir haben also Zeitungen gelesen, Artikel, alles, was mit Gaddafi im Zusammenhang steht. Und dann kam die Revolution und wir waren schon so eingearbeitet und so interessiert, dass wir uns per Mail ständig gegenseitig upgedatet haben. Man hat auf einmal gemerkt: Ey, wir machen darüber was und auf einmal passiert das real. Das war ein unglaublich aktueller Austausch. Das wird man im Stück auch erkennen. Wenn man die aktuellen YouTube-Videos kennt, die Pressesachen, seine Reden, wie er in letzter Zeit aufgetreten ist – das wird man alles wiedererkennen.
Wo siehst du das Theater zwischen all diesen Medien. Welche besondere Qualität hat es in dem Moment?
Das Theater ist unmittelbar. Das ist das, was für mich immer den Unterschied macht. Die Leute sitzen da drin und es passiert jetzt genau in dem Moment.
Aber es passiert mit einer Puppe.
Ja, genau das ist ja unser großer Bonus. Man darf nicht vergessen, dass das eine stilisierte Form der Performance ist. Eine Verfremdung oder auch Abstraktion. Wir heben ihn auf eine gewisse Ebene und versuchen trotzdem permanent, einen aktuellen Bezug zu machen. Das ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, sich dieser Figur zu nähern. Ich glaube, du hast nicht die gleichen Chancen, wenn du einen Schauspieler hinstellst und sagst: Das ist jetzt Gaddafi. Mit der Puppe als verfremdeter Form der Darstellung hast du die Möglichkeit ihn in allen Facetten und mit all seinen Widersprüchen zu zeigen. Ihn als Diktator zu zeigen, zum Teil ironisch, aber auch seine tragischen Facetten. Sei es der Wandel vom Idealisten zum Despoten. Alles was an ihm ambivalent und umstritten ist, auch ablehnbar. Das alles kann man wunderbar zeigen, mit einer Puppe. Wir sind ja alle Puppenspieler, deswegen sehen wir darin auch die Qualität.
Habt ihr eine politische Perspektive? Was glaubt ihr, wie das weitergeht?
Also, wir sprechen viel darüber. Es ist schwierig zu sagen. Es gibt mehrere Varianten. Wir können ja trotzdem nicht hellsehen, auch wenn das alles so ein bisschen voodoo-mäßig rüber kommt. Wir haben daran gearbeitet und jetzt passiert es. Aber es gibt verschiedene Optionen und die sehen alle nicht besonders gut aus. Weil es einfach sehr blutig ist momentan. Das ist das einzige, das ich sagen kann. Ob das jetzt ein langer Bürgerkrieg wird oder da noch mehr Leute draufgehen, weil sie sich ihre Unabhängigkeit erkämpfen wollen. Es ist auf jeden Fall nicht schön, was da grade passiert.
Ihr schreibt in eurer Ankündigung, es sei an der Zeit, dass jemand einen Polit-Thriller über Gaddafi macht. Die aktuellen Entwicklungen geben euch recht. Was erwartet die Zuschauer, wenn sie zu euch in die Premiere kommen?
Ich hoffe, dass sich die Leute trotz des Themas und weil es gerade so allgegenwärtig ist, amüsieren können. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich so einem Thema auch mit einer gewissen Leichtigkeit zu nähern. Das ist der Bonus-Punkt für uns, ihn mit einer Puppe zu zeigen. Ansonsten finde ich die Schlagwörter, die wir unter den Titel gesetzt haben, eigentlich ganz gut. King of the Kings. Gaddafi hat sich selbst so genannt. Elvis Presley war auch der King, Michael Jackson auch. Er als Performancekünstler ist der King. Es erwartet die Zuschauer eben ein Polit-Thriller, mit viel Action, mit Puppen, Videoclips, Musik. Wir haben eine Verfolgungsjagd, es gibt eine Nachtclubszene, mit Reden und immer wieder pompösen Auftritten, neuen Kostüm. Es wird fake-arabisch, englisch und deutsch in verschiedenen Akzenten geredet. Es wird sehr bunt, sehr dynamisch und actiongeladen.
King of the Kings ist im Rahmen des Freischwimmer Festivals am 10., 11. und 12. März in den sophiensælen zu sehen. UPDATE: Unsere Kritik.
Das ungeschnittene Interview steht als Download zur Verfügung. Formate: MP3 oder Ogg Vorbis.
Sehr lesenswert auch, was Hugo Velarde im Theater der Zeit-Blog zu „King of the Kings“ schreibt: http://theaterderzeit.de/Blog/Show/1617