Hundenächte des LebensFrühe Fotografien von Gundula Schulze Eldowy im C/O Berlin

Margarete Dietrich - Berlin 1979, aus der Serie "Berlin in einer Hundenacht" (Gundula Schulze Eldowy, alle Rechte vorbehalten)

Die Bilder von Gundula Schulze Eldowy zeigen keine Hüllen, keine Klischees und keine gesellschaftlich standardisierten und vorprogrammierten Bilder, sondern Menschen (und Orte) in ihrer Wirklichkeit, in der fast schmerzhaften Realität; die Helden der Hinterhöfe und Fabriken, die Bewohner der abgelegenen Kammern und den Nachbarn von nebenan. Sie sind berührend, bewegend, verstörend und trotzdem vertraut, vielleicht eben deswegen, weil sie wie ein Spiegel funktionieren, in dem wir uns als Mensch wiedererkennen. C/O Berlin präsentiert in einer Retrospektive etwa 120 Fotografien, entstanden zwischen 1977 und 1990. Neben den Serien „Berlin in einer Hundenacht“ und „Tamerlan“ ist der Farbzyklus „Der große und der kleine Schritt“ in seiner Gesamtheit erstmals in Berlin zu sehen.

Ehrlich und  wunderschön präsentiert sich die Welt durch Schulze Eldowys Objektiv. Fast schauerlich heilig erscheint die Aufnahme einer Frau im Kreißsaal, deren gespreizte und in weiße, mit Blut durchtränkte Tücher umhüllte Beine ein Kreuz andeuten und gleichzeitig den direkten Blick in die blutige Vagina freigeben. Diese Schonungslosigkeit macht ein Verweilen des Blicks nahezu unerträglich. Die Fotografin befreit die Menschen, die in ihren Körpern festhängen, unvermögend Gebrauch zu machen von der Freiheit, die ihnen in die Wiege gelegt wurde. Sie öffnet die verschlossenen Türen und zeigt Authentizität, Melancholie, Schatten, aber auch Hoffnung: Den Sonderling zwischen seinen Gartenzwergen, den vom Wetter zerfurchten Zeitungsboten, den bierbäuchigen Mann in Rippunterwäsche in der heimischen Stube, das Blut im Schlachthof, rußverschmierte Arbeiter, das Kind im gebastelten Engelskostüm vor Ruinen, die Frau bei einer Entbindung, die Krebskranke auf dem OP-Tisch. Das ungleiche Paar armseliger einfacher Leute in Sonntagskleidung verpackt, sich liebevoll in den Armen haltend erscheint auf einmal so unglaublich echt und romantisch.

14 Jahre lang, von 1977 bis 1990 durchstreifte die Fotografin den Berliner Osten, klopfte an die Türen der Nachbarn, erkundete Hinterhöfe, Werke, Fabriken, Krankenhäuser, Kleingärten. Ihre Bilder zeigen die Kriegsnarben der Stadt und  ihrer Bewohner und tauchen dabei ein in eine Zeit, die – kaum 30 Jahre zurück – längst vergessen scheint. Ganz im Gegensatz zur sozialistischen Bildsprache des DDR-Regimes zeigt Schulze Eldowy ungeschönte und zugleich wunderschöne Bilder einer untergehenden Stadt und ihrer vergessenen Bewohner. Die subtilen und doch unübersehbaren Metaphern der Gesellschaftskritik sind zeitlos, die verblassten Protagonisten des Alltags leben und arbeiten noch immer und überall in den dunklen Hinterzimmern und Fabriken. Die Tabubrüche, die sich durch das gesamte frühe Schaffen der Künstlerin ziehen, z.B. auch in den in der Ausstellung zu sehenden Aktfotografien, dienen nicht dem Selbstzweck sondern sind der Wahrheit, den Motiven verpflichtet.

In einem über 50 Minuten langem Film von 2011 wird die Fotografin zu den Orten ihrer frühen Aufnahmen begleitet. Wieder klopft sie an Türen und spricht mit Menschen auf der Straße und langsam wird klar, wie es der Künstlerin gelingt eine solche Nähe zu den Porträtierten herstellen zu können. Sie hört Ihnen zu: Selbstvergessen und aus einem tiefen Interesse lauscht sie den bunten und grauen Erzählungen ihrer Gegenüber, verschmilzt mit ihnen, manchmal so gepackt – wie sie in einem Interview verrät –, dass sie dabei ihre eigentliche Intention – das Fotografieren – ganz vergisst. Sie ist nicht Voyeurin, sondern Verbündete.

Der Film gewährt auch Einblick in ihre Aufnahmen mit einer Videokamera aus den 90er Jahren. Mit großem Einfühlungsvermögen malt Schulze Eldowy nach, was ihr neugieriges Auge entdeckt. Ganz nah kommt sie der alten Dame namens Tamerlan, sowohl bildlich als auch emotional und öffnet Details, taucht ein in die Furchen des Lebens und zeigt sie als einen Baum, fest und lebendig, eine tiefe Rinde gezeichnet vom Leben und doch zugleich so verletzlich, voll faszinierender Schönheit und  Erschrecken, da sie dem Betrachter auch das eigene Altern und die Vergänglichkeit der ihm Nahestehenden vor Augen führt.

Gundula Schulze Eldowy ist sich ihrer Verantwortung als Fotografin  bewusst. Sie interessiert sich für den Menschen, für jeden Menschen, der ihr sympathisch und interessant erscheint. Dabei dringt sie vor bis zum bloßen Selbst und versucht dieses wahre – und doch immer subjektive – Bild ihres Gegenübers festzuhalten, seine Besonderheiten zu betonen und von Hüllen zu befreien. Sie taucht tief ein in die Intimsphäre ihrer Protagonisten, sodass ein sich plötzliches Wieder-Entziehen aus dem Vertrauenskreis fast brutal wird. Im Fall von Tamerlan entwickelt sich aus der Begegnung eine tiefe Freundschaft zwischen der Fotografin und der faszinierenden einsamen alten Dame, die von Schulze Eldowy bis zum Tode im Altersheim begleitet wird.

Sehr passend sind die Räume des ehemaligen Postfuhramts, die die Besucher von außen mit ihren eleganten Fassaden begrüßen, um ihnen anschließend die fotografischen Arbeiten von Ron Galella im Erdgeschoss und Gundula Schulze Eldowy in der ersten Etage bei knarrendem Dielenboden und an putzbröckelnden Wänden zu präsentieren. Die Ausstellung kann noch bis zum 26. Februar 2012 besucht werden.

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