Zwei sind einer zu wenig?Heteronormativität und Polyamorie in Tom Tykwers „Drei“

Devid Striesow, Sebastian Schipper und Sophie Rois (Fotos: X-Filme, alle Rechte vorbehalten)

In der heutigen Gesellschaft genießt die Monogamie als Beziehungsmodell eine wenig hinterfragte Monopolstellung. Doch schon lange hat sich das romantische Ideal „ewiger Liebe“ als unrealistisch erwiesen und ist einer eher ernüchternden Praxis der „seriellen Monogamie“ gewichen. Ohne die Illusion, es könne nur eine einzige wahre Liebe geben, wird der Sinn von „Treue“ aber fragwürdig. Warum muss eine alte Liebe enden, wenn eine neue beginnt?

Bei so vielen Gänsefüßchen muss es sich um ein brisantes Thema handeln. Mit den obigen Sätzen bewirbt der Verlag Bertz+Fischer bei Amazon.de Oliver Schotts Buch „Lob der offenen Beziehung. Über Liebe, Sex, Vernunft und Glück“ (2010). In der Spalte „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, interessierte auch…“ finden sich unter anderem Dossie Eastons und  Janet W. Hardys „The Ethical Slut. A practical guide to Polyamory, Open Relationships & Other Adventures“ (2009) und „Frühstück zu dritt. Leben und Lieben in Mehrfachbeziehungen“ (2006) von Erhard Söhner und Bärbel Schlender. All diese Handbücher und Ratgeber sind sich darin einig, dass das Modell einer Partnerschaft zu zweit eine einengende Vorgabe aus Gesellschaft und Medien ist und dass dessen Überwindung den Weg zu wahrhaft erfüllenden Liebeserfahrungen weisen kann. Dabei wird vieles in einen Topf geworfen: Liebe, Freundschaft, Familie und Treue, aber auch Eifersucht und Verantwortung, ja sogar Glück.

Mit Tom Tykwers „Drei“ sind nicht-monogame, sogenannte polyamoröse Beziehungen auch im letzten Hort der romantischen Ideale, dem Kino, angekommen. Und man fragt sich, ob dieser Film die Debatte um Polyamorie und die Flut der Veröffentlichungen dazu erst ausgelöst hat oder ob er schon ihr Symptom ist.

Hannah und Simon sind ein Berliner Paar Mitte 40. Im 20. Jahr ihrer Beziehung sind beide so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass das gemeinsame Leben nicht mehr als den vertrauten Rahmen ihrer Einzelaktivitäten darstellt. In den entscheidenden Momenten sind sie alleine. Sie (Sophie Rois) in ihrem Job in der Kunstbranche und unter angegrauten Herren im Ethikrat. Er (Sebastian Schipper) am Sterbebett seiner Mutter und bei der eigenen Operation. Diagnose: Hodenkrebs. Jeweils alleine sind sie auch, als sie den umtriebigen Adam (Devid Striesow) kennenlernen. Beide fühlen sich von dem vor Unabhängigkeit und Selbstvertrauen strotzenden Lebemann angezogen, beide landen mit ihm im Bett, verlieben sich in ihn. Das Fremdgehen belebt das schon länger auf Eis gelegte Sexualleben der beiden miteinander und selbst Adam, für den Sex neben Segeln, Schwimmen, Singen nur ein weiteres Hobby war, entwickelt echte Gefühle – für beide.

Vier Fünftel des Films erzählen nicht von den titelgebenden „Drei“, sondern zunächst von Einzelgängern, die sich schließlich in drei personell wechselnden Zweierkonstellationen zusammenfinden. Das Zusammentreffen der Drei wäre katastrophal. Während es bei einer Vernissage noch glimpflich abgewendet werden kann, macht gegen Ende der von Reproduktionsforscher Adam belächelte „biologische Determinismus“ jedes Leugnen zwecklos: Hannah wird schwanger und trifft, als sie Adam davon berichten will, ihren halb nackten Mann in dessen Wohnung. Die Bombe ist geplatzt und alle kehren zu ihrer ursprünglichen Einsamkeit zurück. One ist the loneliest number.

Bis dahin hat Tom Tykwer für das deutsche Kino zusammen gebracht, wofür US-amerikanische TV-Serien seit den frühen Neunzigern des letzten Jahrhunderts Narrationen und Bilder suchen. Hannah ist eine unabhängige Karrierefrau, die sich gegen Kinder entschieden hat und es, als sie Adam kennenlernt, mit der Beziehungsmoral nicht all zu ernst nimmt. Trotzdem hadert sie hin und wieder mit der Familienlosigkeit und sagt schließlich „OK“, als Simon ihr einen Heiratsantrag macht. „Sex and the City“ lässt grüßen. An der Aufgabe, Homosexuelle Beziehungen wie die Affäre zwischen Adam und Simon für ein Bildschirmpublikum zu etablieren, arbeiteten sich Serien wie die deutsche Lindenstraße und sogar Vampirjägerin „Buffy“ ab. Als hier eine lesbische Beziehung für einen Aufschrei bei den Primetime-Zuschauern sorgte und sich die Produzenten dennoch damit durchsetzten, war ein Meilenstein für das Thema Homosexualität in populären visuellen Medien gelegt. Explizit schwul-lesbische Serien wie „Queer as Folk“ oder „The L-Word“ zogen – zugegeben, mit mäßigem Erfolg – nach.

Solche Formate rückten lange vor „Drei“ der Heteronormativität in Kino und TV zu Leibe, den immer gleichen Geschichten also über einen Mann und eine Frau, die nicht nur das jeweilige geschlechtsspezifische Rollenbild perfekt erfüllen, sondern auch im romantischen Zusammentreffen und der von Ehrlichkeit und Moral geprägten heterosexuellen Beziehung ihre wahre Bestimmung finden. Um die identitäts- und machtpolitischen Implikationen solcher Geschichten geht es in „Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht“ von Jutta Hartmann und anderen (2007), das neben den Ratgebern zur Polyamorie bei Amazon angepriesen wird.

Hier möchte „Drei“ ansetzen und eine wirklich neue Geschichte von einer Beziehung erzählen, die nicht nur die Normen von Genderrollen und heterosexueller Liebe hinter sich lässt, sondern auch die klassische 1:1-Paarkonstellation. Leider hält sich der Film ein wenig zu lange mit der Dreiecksbeziehung als „Other Adventure“ (Easton/Hardy) auf. Die Entscheidung der drei für eine gemeinsame Beziehung und gemeinsame Verantwortung für Hannahs Zwillinge – Liebe, Sex, Vernunft und Glück à la Oliver Schott also – lässt sich in den weich gezeichneten, mit Musik durchtränkten Klischeebildern am Ende des Films jedoch leider nur erahnen.

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