Den Diskurs öffnenClarissa Smith im Gespräch über Pornresearch.org

Foto: Lisa Andergassen

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Die britischen WissenschaftlerInnen Clarissa Smith, Feona Attwood und Martin Barker haben vor kurzem ein umfassendes Befragungsprojekt gestartet, eine Studie über die Nutzung von Pornografie: pornresearch.org. Was ihr Projekt von anderen Studien zum diesem Thema unterscheidet, ist die Betonung der Beziehung zwischen der Pornografie und ihren Zuschauern. Damit hat die Studie eine völlig andere Richtung als andere, die sich für gewöhnlich mit den oft beklagten potentiellen Gefahren beschäftigen. Smith und Attwood waren gerade zu Gast bei der  IX. MAGIS Spring School in Gorizia, Italien, wo sie eine Sektion des Porn Studies-Seminars koordinierten. Wir haben Clarissa Smith interviewed. Es wurde viel gekichert…

Schönschrift: Auf eurer Webseite bin ich über den Begriff „public knowledge”, also öffentliches Wissen, gestolpert. Es gibt viele Leute, die sagen, „Es gibt so viel Porno überall, wir können das langsam nicht mehr ertragen” und dann kommt ihr daher und argumentiert, dass wir mehr öffentliches Wissen darüber brauchen. Kannst du das etwas genauer erklären?

Smith: Die Sache ist, dass sehr viele Annahmen über Pornos existieren. Warum Leute sich das angucken, warum sie es lesen. Es geht nämlich dabei nicht nur ums Gucken, sondern auch ums Lesen. Es bedeutet vieles. Allein der Ausdruck „Gebrauch von Pornografie“ lässt zum Beispiel eine bestimmte Beziehung vermuten, die Leute zur Pornografie haben. Ich bin nicht sicher, ob wir überhaupt wissen, was Leute mit Pornografie machen.

Man denkt, dass es dabei ausschließlich um Masturbation geht. Aber schon nach der vorläufigen Auswertung der Studie, die wir bis jetzt gemacht haben, ist deutlich geworden, dass es um sehr viel mehr geht. Manchmal geht es eher darum, eine Diskussion über Sexualität mit anderen Leuten zu führen, um das Gefühl, das man zu einer Gruppe gehört, die an sexuellen Aspekten interessiert ist.

Wir wissen nicht, was wir am Ende finden werden, aber ich denke, es ist viel komplizierter als zu behaupten, dass sich Menschen diesen Kram angucken, um angetörnt zu werden und das war’s dann. Man geht im Allgemeinen davon aus, dass Leute, die zur Pornografie kommen, nach mehr und mehr explizitem Material suchen. Weißt du, man beginnt mit ein bisschen Softcore, dann geht man über zu Hardcore und dann zu brutalen Vergewaltigungsfantasien und dann will man vielleicht rausgehen und das nachspielen. Damit beschäftigt sich öffentliches Wissen die ganze Zeit, mit diesem Wandeln auf dem dünnen Eis. Ich denke, es gibt einige Verzerrungen darüber, was Leute, mit denen ich gesprochen habe, wirklich fühlen. Es geht eigentlich viel mehr darum herauszufinden, was man mag und was nicht. Und unterwegs stellt man fest „Na ja, das hier mag ich nicht. Damit will ich mich nicht weiter beschäftigen. Aber das hier gefällt mir“. Eigentlich wie jede andere Art von kultureller Aktivität. Man lernt die generischen Konventionen, die Codes und dann kommt man zu dem Schluss: „Das hier mag ich aus den und den Gründen“. Man hat etwas dazu zu sagen. Und dann kennt man sich langsam besser aus und ist vielleicht mehr interessiert an einem bestimmten Aspekt und das ist dann nicht mehr das Gleiche wie das vorher genannte Wandeln auf dünnem Eis. Es gibt mehr über Pornografie zu sagen als einfach nur, dass es innerhalb der Gesellschaft eine Tendenz zu expliziterem Material gibt und dass es immer leichter verfügbar ist.

Wie wurde euer Projekt bis jetzt angenommen?

Als ich es zu Anfang auf Facebook gestellt habe, hatten wir 200 Antworten in 24 Stunden und ca. 50 Leute, die sich bereit erklärt haben, an weiteren Fragen teilzunehmen. Und das war ganz schön abgefahren, ich hatte erwartet, dass vielleicht ein Prozent der Leute mehr Fragen beantworten würde.

Habt ihr euer Promotion Video auch auf andere Videoportale wie YouPorn oder XTube gestellt oder ist es nur auf YouTube zu sehen?

Es ist nur auf YouTube. Wir haben Probleme mit diesen Tube Sites, weil sie denken, dass es sich dabei um Werbung handelt und das wollen sie nicht. Deswegen muss ich sie anschreiben und sie fragen, ob sie es auf die Seite stellen können. Wir hatten auch schon Beschwerden über die Studie von Gruppen, die gegen Pornografie sind. Die vermuten, dass wir von der Pornoindustrie bezahlt werden, um Marktforschung für sie zu betreiben. Naja, und das machen wir nicht im Entferntesten. Wir sind daran interessiert, herauszufinden, warum Leute Pornos mögen. Das ist nicht das Gleiche wie Marktforschung für Pornoproduzenten zu betreiben. Da gibt es definitiv ein Problem und ich will nicht noch mehr Aufmerksamkeit diesbezüglich auf uns ziehen, denn irgendwann möchte ich ein anderes Projekt machen, das sich damit beschäftigt, warum Leute Pornografie nicht mögen. Und wenn es online viel Gerede gibt, dass wir von den Pornomachern bezahlt werden, wird es schwierig.

Aber so wird die ganze Sache gedacht. Man ist entweder entschieden dafür oder entschieden dagegen. Aber eigentlich sind es ganz verschiedene Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. Diese beiden Optionen halte ich nicht für die eigentlich interessanten. Uns interessiert, was Leute in ihrem täglichen Leben an Pornografie finden und wie dies wiederum verbunden ist mit ihrem Sinn für Sexualität, sexuelle Politiken etc. Die Leute, die im Augenblick an dem Thema interessiert sind, mögen Pornografie. Es müssten andere Fragen gestellt werden für Leute, die Pornografie ablehnen, und man müsste fragen, wie sie die Verbindung zwischen Pornografie und Alltag einschätzen.

Seid ihr auch an der Produktionsseite von Pornos interessiert? Habt ihr Kontakt zu Produzenten oder SchauspielerInnen?

Ja, es gibt ein anderes Projekt, mit dem ich mich gerade beschäftige, das mit Leuten zu tun hat, die in der Pornoszene arbeiten. Was ich daran spannend finde, ist die Medienindustrie. Wenn man zum Beispiel in die Bibliothek geht und sich Bücher zur Medienindustrie besorgt, schau mal ins Inhaltsverzeichnis: Pornografie existiert praktisch nicht. Niemand spricht darüber als ein Zweig von kreativer Praxis oder als eine Form von Medien. Ich finde es sehr spannend, dass Pornografie eine Schwesterproduktion des Kinos ist. Es benutzt dasselbe Medium, es benutzt dasselbe – na ja, nicht dasselbe Vertriebssystem, denn offensichtlich bleibt es in vielen Punkten wegen der rechtlichen Bestimmungen getrennt – aber es ist nicht komplett einzigartig. Es wird nicht besprochen als ein Bestandteil der Produktion. Und wenn doch mal jemand darüber spricht, dann normalerweise über die Stars, die Leute, die in den Filmen spielen oder die Leute, die damit Geld machen, wie z. B. Hugh Hefner. Das sind die einzigen. Aber neben diesen Leuten gibt es Make-Up Artists, Kameraleute, Tonleute, Drehbuchschreiber. All die Dinge, die es auch im Theater oder Kino oder Fernsehen gibt. Und mich interessiert, wie diese Leute Fragen der Kreativität einschätzen und wie sie das als Beruf sehen. Viele Leute, die als Selbstständige arbeiten oder im Mainstream-Film, würden auch für Pornos arbeiten. Für Webdesigner z.B. denke ich, ist das keine schlechte Sache, schon mal in der Pornoindustrie gearbeitet zu haben, weil Pornografie sehr entscheidend für das Wachstum des Internets war. Ich bin mir sicher, dass es viele Leute gibt, die jetzt sehr respektable Jobs haben, und die früher in Pornoproduktionen involviert waren. Es ist also dementsprechend nicht komplett getrennt voneinander, obwohl dieser Eindruck besteht und es nur sehr wenig Literatur darüber gibt.

Habt ihr den Eindruck, dass die Leute, die eure Fragen beantworten, überhaupt fähig sind, darüber zu sprechen, was ihr fragt, wenn man davon ausgeht, dass es relativ ungewöhnlich ist, über Sexualität und Pornografie zu sprechen?

Wir suchen nicht nach Leuten, die uns irgendwie intellektualisierte Antworten geben. Es wäre naiv zu glauben, dass man das finden kann. Wonach wir suchen sind Muster und wie darüber gesprochen wird. Was heißt das z.B., wenn Leute sagen, „Das ist ein realistisches Setting“ oder „Das könnte mir passieren“ oder „Ich stelle mir vor, in der gleichen Situation zu sein“. Wie das korreliert mit ihrer Vorstellung über sich selbst. Was wir hier machen, befindet sich in der weiten Tradition der Publikumsstudien. Zum Beispiel, wenn man das Publikum eines speziellen Clint Eastwood-Westerns untersucht. Weißt du, Leute mögen den Begriff „Identifikation“ nutzen, aber was meinen sie damit eigentlich?

Wir suchen nach Mustern und Arten über diese Dinge zu sprechen. Und eine der Sachen, die wir herausgefunden haben, ist der Fakt, dass der öffentliche Diskurs über Pornografie sich bereits im Sprechen darüber befindet. Wie Leute zum Beispiel versuchen damit umzugehen, vielleicht um eine Nische zu finden, in die sie passen. Es gibt verschiedene Ideologien, die von Leuten angewandt werden, wenn sie darüber sprechen, warum sie etwas mögen. Und ich bin nicht davon überzeugt, dass Akademiker tatsächlich ausdrücken können, was sie aus Pornografie machen. Wir können diese Dinge in einem Seminarraum besprechen, aber wir sind nicht anders als alle anderen.

Im Augenblick befinden wir uns auf sehr schwammigem Gebiet und wir suchen nach einer Art Kombination zwischen den Dingen, die die Leute in den Pornos sehen wollen und Dingen, die sie nicht sehen wollen und was diese Momente ausmacht, warum man sich Pornos anschaut. Und dann sind da die Fragen, die sich darum drehen, was guten Sex ausmacht. Wir suchen also nach den Verbindungen, die sich an diesem Punkt befinden, weil wir hoffen, dass diese Fragen für uns etwas öffnen werden. Wir freuen uns darauf, überrascht zu werden.

Ich bin ganz aus dem Häuschen über das Projekt. Es hat sich jetzt ca. 10 Jahre in Entwicklung befunden, das Ganze überhaupt zu machen und wir haben verzweifelt versucht, Fördermittel aufzutreiben. Am Ende haben wir es dann selbst finanziert, wir bekamen keine Gelder dafür. Das kann natürlich auch daran gelegen haben, dass ich einen schlechten Förderantrag geschrieben habe, aber eigentlich denke ich, dass die Leute einfach davon abgeschreckt sind, weil wir nicht über die Effekte reden. Stattdessen sprechen wir über andere Beziehungsgeflechte, ich glaube, das macht Förderern Angst.

Wie siehst du deine Rolle als Wissenschafterin auf diesem Gebiet?

Ich würde den Titel Pro-Porno vehement ablehnen. Ich würde mich selbst nicht als Pro-Porno bezeichnen, ich sehe mich als Porno-interessiert. Ich glaube, das Ganze hat eine endlose Faszination auf mich. Es gibt einfach so viele verschiedene Typen von Pornos, es gibt so viele Gründe, warum Leute zur Pornografie kommen und ich fühle mich politisch sehr motiviert, ein bisschen mehr zu sagen als „Dieses Zeug verdirbt uns“ oder „Das ist schlecht für die Gesellschaft“. Ich glaube, das ist die falsche Frage, die immer wieder gestellt wird. Und es geht auch nicht nur um sexuelle Befreiung, denn obwohl Pornografie getrennt wird in Bezug auf „Hier sollte eine Zensur stattfinden“, scheint es so zu sein, dass was auch immer innerhalb der Pornografie passiert, auch irgendwann in anderen Medienformen passiert. Vom Porno zum Kino und Fernsehen, was auch das Argument im Prozess der „Pornofikation“ von Kultur u.ä. ist.

Als sie zum Beispiel kürzlich die .xxx-Domain gestartet haben, haben sie herausgefunden, dass das dazu führt, dass dann auch andere Sektionen im Internet geschlossen werden können. Und dann beginnen sie, das für andere Dinge zu nutzen. Daran glaube ich wirklich. Und die ganzen Strategien, die genutzt werden, um ganze Diskussionen zu schließen. Sie sehen das als „Da geht etwas Korruptes vor sich“ in Bezug auf Sexualität. Zum Beispiel die Art und Weise, wie es uns unmöglich erscheint, über Kinder und Sexualität zu sprechen. Das ist ein Diskurs, der alle möglichen Gebiete schließt, die eigentlich geöffnet werden sollten, um sie zu untersuchen. Das heißt nicht, dass alles frei sein sollte oder alles liberal betrachtet werden muss. Es ist viel mehr als das. Ich denke, da geht es um die Möglichkeit einer echten Debatte darüber, wie wir zum Beispiel sexuelle Erziehung unterrichten sollten. Dinge, die sich im Bereich der nicht-normativen Sexualität befinden. Im Moment kommt es mir so vor, als würden wir uns selbst als immer liberaler werdend einschätzen, aber in Wirklichkeit hat unsere Toleranz Grenzen. Und die müssen nicht mal besonders weit gedehnt werden, bevor man diesen Punkt erreicht. Rund um Pornografie im Besonderen gibt es viele Gesetze in Europa und auch woanders, die unglaublich homophob sind. Auch wenn sie objektiv und recht offen erscheinen,  sind sie eigentlich unglaublich restriktiv und normativ in ihren Ansätzen.

Ich habe noch eine weitere Frage zu diesen Restriktionen, über die du bereits gesprochen hast. Wir hatten vorhin eine Diskussion über Horrorfilme und haben gedacht, dass es da eine Art Verbindung gibt zwischen diesen beiden Faszinationen. Sexualität und Pornografie sind Dinge, die uns im Innersten unseres Selbst treffen und sie sagen etwas über uns als Menschen aus. Und dann in einem Raum voller Menschen zu sitzen und Pornos zu gucken kann sich merkwürdig anfühlen. Wie gehst du damit um?

Ja, es ist schon komisch, in einem Seminarraum zu sitzen und zusammen Material anzuschauen, das man normalerweise als etwas sehr Privates betrachten würde, wenn man das zum Beispiel vergleicht mit Lesungen in der Literaturwissenschaft. Lesen kann eine sehr einsame Aktivität sein, aber man wirft dann ein paar signifikante Zitate an die Tafel und alle lesen sie. Na ja, ich kichere viel, ich komme mir schon manchmal etwas albern vor, manchmal bin ich auch peinlich berührt. Ich bin mir außerdem sehr darüber bewusst, wie die Leute mich beurteilen werden anhand dessen, was ich vorführe. So wie „Oh, das sagt etwas über sie aus“. Ich bin mir bewusst, dass es da zahlreiche Reaktionen gibt. Ich kann nicht davon ausgehen, dass alle total einverstanden sind, mit dem was sie zu sehen bekommen. Auf der anderen Seite denke ich, dass es in einem Porn Studies-Seminar unmöglich ist, diese Sachen nicht zu sehen. Man muss wissen, worüber man spricht. Kein Mainstream-Film wird in einem Filmseminar besprochen, ohne wenigstens ein paar Ausschnitte daraus zu sehen. Und das Ganze hat natürlich einen Grund, so dass jeder weiß, worum es geht. Ja, aber das kann schon alles sehr komisch sein. Ich bin mir dessen sehr bewusst, schließlich bin ich nicht immun gegen diese Filme. Manchmal bin ich über meine eigene Reaktion überrascht. Manchmal will ich überhaupt nichts machen, von dem was mir normal erscheint. Es kommt darauf an, wie sicher sich die Atmosphäre anfühlt. Ich habe all diese Gefühle auch. Und ich muss auch an die Leute im Publikum denken.

Eine letzte Frage: Welche Auffassung deiner Arbeit nervt dich am meisten?

Lacht. Oh, darüber müsste ich nachdenken. Ich weiß, was mich richtig nervt: Wenn du am Ende einer Präsentation denkst, dass du wirklich viele Denkrichtungen aufgezeigt hast und dann meldet sich jemand und fragt „Ja, aber was ist mit den Frauen? Sollten wir uns darum nicht kümmern?“ Und natürlich bin ich nicht dagegen. Ich bin sehr beunruhigt über sexuelle Gewalt gegen Frauen, aber ich denke nicht, dass Pornografie da eine kausale Rolle hat. Und ich denke, dass diese Debatte eine ganze Reihe anderer Dinge verschleiert, die wir untersuchen sollten und die sich darum drehen, warum sexuelle Gewalt passiert. Und das wird nicht geschehen, solange es immer diesen Drang gibt, ein Objekt zu beschuldigen.

Vielen Dank!

Das ungeschnittene Interview auf Englisch zum Anhören. Dateiformate: MP3 oder Ogg Vorbis. Übersetzung aus dem Englischen: Anika Meier (What she said)

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