Don’t fashion, Don’t talk to Jesus, Don’t be a diva, don’t remember, Don’t make history, Don’t be naked, Don’t be nice, Don’t sign a contract, Don’t hug your cat, Don’t rule, Don’t think, Don’t Fluxus. Don’t Dream.
– Chicks on Speed
Am Eingang: Frauen mit Hosen. Und ohne. Frauen in Roben. Und Röcken. Frauen in Raumanzügen? Kampfanzügen. In Kampfposen. Frauen mit Brüsten. Und ohne. Transparente Frauen im Zeitraffer, auf Gaze. Es ist als könnte man durch sie greifen und laufen, aber das stimmt nicht. Chicks on Speed, frei übersetzt ‚Frauen auf Drogen‘ haben den Berliner Kunstraum Kreuzberg/Bethanien besetzt. Wobei man Speed natürlich nicht mit Amphetamin übersetzen muss. Es könnte auch Tempo, Drehzahl oder (Licht-)Empfindlichkeit heißen. Würde alles passen.
Das postdisziplinäre Künstlerkollektiv hat die Räumlichkeiten jedenfalls im Sturm genommen und zeigt dort die erste umfassende Retrospektive ihrer Arbeit in Deutschland unter dem Titel „Cultural Workship Now!“. Mehr Ausrufezeichen hätten’s noch besser getroffen! Zwischen Highheels und Brustabdrücken (beides in Neon), raumgreifendem Plüsch-Gedärm und Elektroclash kann man in der Ausstellung auf wenigen Quadratmetern eine Tour de Force von den ausgehenden 1990er Jahren bis heute machen. Mit allen Assoziationen, die einem dabei so einfallen. Und alle kräftig gegen den Strich gebürstet.
Da sind zum Beispiel diese unfassbaren „Schuhe“. Highheels sind der Damen bester Feind, das wusste schon Mama. Nicht nur, dass in den Biestern kein Mensch laufen kann. Sie verlangsamen, wenn’s doch gelingt, den Gang, frau strauchelt öfter. In modischem Einklang aus hohen Hacken und Bleistiftrock trippelt Sie irgendwann nur noch. Feministisches „No Go“ allerbester Couleur. Und trotzdem fühlt sie sich darin mächtig? Oder ist das nur ein pop-mythologisches Missverständnis? Die Chicks on Speed jedenfalls greifen es gleich von mehreren Seiten beim Schopf. „You can’t fuck a shoe“? Eine Explizite Fotografie in Überlebensgröße straft diese Behauptung Lügen. Dazu gibt’s Highheels mit Gitarrenseiten, als Vehikel weiblicher Selbstermächtigung. Wer das hyper-männliche Terrain des Gitarrensolos auf (und mit) 20 Zentimetern betritt, dem geht das Patriarchat am Arsch vorbei. So in etwa könnte die Aussage hinter diesem Objekt-Instrument heißen. Oder auch ganz anders.
1997 an der Münchener Akademie der Bildenden Künste gegründet sind die Chicks on Speed ein Musik/Kunst/Mode-Unternehmen mit wechselnder Besetzung und ohne festen Wohnsitz. Die Mitglieder leben in New York, Hamburg, Wien, Barcelona etc. und auch künstlerisch haben sich die Chicks nicht auf ein bestimmtes Terrain festgelegt. Auf Festivalbühnen spielen sie wilde Konzerte, in Galerien zeigen sie ihre Objekte, Kollagen und Rauminstallationen, auf Theaterbühnen gibt es ihre Performances zu sehen – und nichts davon ist reine künstlerische Disziplin. Dafür alles bunt. Der Pop der 90er kreischt aus gewebten Wandbehängen (eine Beschäftigung mit Frauen-Arbeit und Bauhaus-Politik). Die zeitgenössische Sloganhaftigkeit brüllt von Transparenten: „Art rules“, „Free thinking is for free“ oder „Work Harder“. Könnte man auf einen Stoffbeutel drucken? Ja, oder die Imperative der Gegenwart hinterfragen. Oder beides.
Wer möchte kann sich dem humorvoll-lauten Do-It-Yourself-Glamour hingeben. Oder die kritisch-ironischen Untertöne genießen. „Culture Workship Now!“ ist nicht nur eine Ausstellung. Die Chicks on Speed haben den Raum besetzt und verkehren hier die Logik der Kunst gegen sich selbst. Auf handgeschriebenen Zetteln sind die Infos zu den Werken kaum zu entziffern. Im Angesicht der pailettenbesetzten Plüschungetüme, die ganze Räume ausfüllen, muss sich der geneigte Zuschauer an die eigene Nase fassen: Was machen wir hier eigentlich? Den dekadenten Ritualen der Gesellschaft – Museumsbesuche oder Modenschauen – halten die Chicks on Speed einen düster-schicken Spiegel vor. Alles Voodoo? „Don’t be quiet“ (!!).
Die Ausstellung ist noch bis zur Finissage am 23. Oktober (19-22h) im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin zu sehen.