Die Symptome sind vielfältig: Lebenshunger, Lust, Überforderung, Traurigkeit, Mordgelüste. Die Ursachen sind es nicht minder: Haushalt, Kinder, Eheleben, das nordeuropäische Klima oder politische Unzufriedenheit. Die populäre Diagnose für Frauen, die in den 1880er Jahren solche Leiden plagten, lautete immer gleich: Hysterie. „Hysteria“ heißt Tanya Wexlers Komödie zum Thema schlicht im englischen Original. Die deutsche Version ist mit „In guten Händen“ betitelt und legt den Fokus stärker auf die Behandlungsmethoden. Als Film über die Erfindung des Vibrators sollte er keine Probleme haben, Publikum in die Kinos zu locken.
Leichten und mittelschweren Fällen von weiblicher Hysterie sollte mit einer Vaginalmassage geholfen werden. Der Protagonist des Films, der junge Arzt Mortimer Granville (Hugh Dancy), lernt die Methode in der gediegenen Praxis seines Mentors Dr. Dalrymple (Jonathan Pryce), in der gelangweilte Hausfrauen und unzufriedene Witwen ein und aus gehen. Dalrymple verhilft ihnen mit wissenschaftlichem Ernst zum Orgasmus. Oh pardon, zu „hysterischen Krampfanfällen“. Wir befinden uns schließlich in einer Zeit, in der die weibliche Lust wissenschaftlich wie gesellschaftlich strikt geleugnet wird.
Die Pointe des Films ist schnell erzählt. Mortimer ist zwar begabt, erliegt aber aufrgund des nicht abreißenden Stroms neuer Patientinnen, die von seinen Fähigkeiten begeistert sind, einer Sehnenscheidenentzündung. Um den lukrativen Job und die Verlobung mit Dalrymples Tochter Emilie (Felicity Jones) nicht auf’s Spiel zu setzen, erfindet er gemeinsam mit seinem technik-vernarrten Freund Edmund (Rupert Everett) den elektrischen Vibrator, der die Behandlung der Hysterikerinnen von der Fingerfähigkeit der Mediziner unabhängig macht.
So weit, so leichtfüßig. Wenn da nicht die schweren Fälle von Hysterie wären, die der Film am Beispiel von Dalrymples zweiter Tochter Charlotte (Maggy Gyllenhaal) erzählt. Die Pechmarie verkörpert alles, was eine romantische Komödie braucht, um weiblichen Wiedersinn zu repräsentieren. Sie ist laut, ein bisschen schmutzig, schlecht frisiert und trotzdem wunderschön, hat ein großes Herz und viel Humor. Kein Wunder, dass Mortimer für sie seinen heiligen Ernst, den Job und die Verlobung aufgibt. Als Charlotte wegen ihres politischen und sozialen Engagements vor Gericht steht, rettet Mortimer sie vor der Diagnose Hysterie, denn diese hätte ihr nicht etwa zu ein paar lustvollen Stunden in seiner Praxis verholfen. Als unheilbare Hysterikerin wäre sie in eine geschlossene Anstalt eingewiesen worden, nachdem man ihr operativ den Uterus, das angebliche Zentrum der Krankheit, entfernt hätte.
Hysterie, so lehrt der Abspann des Films, ist erst 1952 aus der Liste der Krankheiten gestrichen bzw. ersetzt worden. Bis dahin galt sie als psychische Störung aufgrund einer Erkrankung der Gebärmutter. Sie konnte damit logischerweise nur Frauen befallen und lieferte also eine medizinische Erklärung für weibliches „Fehlverhalten“ in einer Zeit und Gesellschaft, in der die Rolle der Frau wenig Spielraum für Abweichungen bereithielt. „In guten Händen“ erzählt von einem Moment in der Geschichte der Medizin, in dem die Keim-Theorie noch als neumodischer Firlefanz verpönt war und die frühe Pharma-Industrie bereits einen wichtigen Einfluss auf Behandlungsmethoden und Mediziner-Karrieren hatte. Von diesem Moment trennen uns knapp 150 Jahre, in denen die weibliche Sexualität von den Bühnen der Medizin und Pharmazie keinesfalls verschwunden ist.
Der Orgasmus der Frau ist Pointengeber Nummer 1 in diesem Film, der ein populäres Problem mit der Pornografie teilt: Wie macht man ihn filmisch sichtbar – und das auch noch für Zuschauer ab zwölf Jahren? Die Antwort ist eine filmische und gynäkologische Blackbox, in die Nacktheit und Berührungen verbannt werden. Den Höhepunkt der Frau repräsentiert die Opernarie, die sie als Zeichen trällert und die affektive Komponente des Zuschauens soll wohl dadurch stimuliert werden, dass bei jeder Mahlzeit dieses Films Fisch serviert wird? Es ist erstaunlich, wie ein Film, der ganz auf Lust und Erregung gründet, so wenig über Sex erzählen kann. Die einzigen, die hier vögeln, sind die Enten. Und ausgerechnet Mortimer, der bei ihrem Anblick errötet, sollen wir abnehmen, dass er ganz ohne Übung in der Lage ist, Frauen reihenweise zu höchster Lust zu verhelfen?
Diese ausdrückliche Prüderie – und man möchte sagen Weltfremdheit – ist wohl beabsichtigt. Sie wird „In guten Händen“ zu einem Kassenschlager machen, der kichernde Scharen mit scheinbarer Anrüchigkeit in die Kinos lockt, ohne ihnen dann aber zu viel zuzumuten. Zu viel wovon? Von der alltäglichen, schönen, schrecklichen und höchst komplizierten Pointe namens Sex. Dieser Pointe hat es noch nie geschadet, wenn herzhaft über sie gelacht wurde. Sie aber tot zu schweigen und selbst im visuellsten aller Medien, dem Film, unsichtbar zu machen, nimmt ihr nicht nur den Humor, sondern auch ihre ganze emanzipatorische Kraft.