„Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Pornografie?“, fragen die Macher_innen des 6. Berliner Pornfilmfestivals auf ihrer Homepage. Und die Antwort haben sie auch gleich parat: „Kunst ist teurer!“ Das mag eine grobe Verallgemeinerung und in einigen Fällen schlicht falsch sein, es führt allerdings direkt zum Kern des Diskurses um Pornografie. Immer geht es dabei um Abgrenzung. Pornografie ist das ewig Andere der Kultur, das Schmuddelige ohne Mehrwert. Oder in einer paranoiden aber höchst aktuellen Ausprägung: das Allgegenwärtige, zu dem jeder (sogar Kinder und Frauen!) ständig Zugang hat und vor dem jeder folglich beschützt werden muss.
Aber es gibt auch eine Gegentendenz, zu der das Berliner Porn Filmfestival, das in diesem Jahr (26.-30.10. 2011) den Rekord von 5.000 Besuchern geknackt hat, seinen Beitrag leistet. Kunst und Pornografie entdecken einander – wieder, muss man sagen, denn im Goldenen Zeitalter der Pornografie in den 70er Jahren gab es bereits ein hippes, sexuell revolutioniertes und kunstinteressiertes Porno-Publikum, das sich in großen Filmtheatern zu Vorstellungen von „Deep Throat“(Gerard Damiano) oder „Behind the Green Door“ (Artie und James Mitchell) traf. Mit VHS, DVD und dem Internet scheint Porno stärker zu einer Angelegenheit für den kleinen Bildschirm geworden zu sein. Gegen diese Tendenz richten sich nun zunehmend Museen, Festivals, Symposien und Konferenzen.
Dass es beim Pornfilmfestival auch eine Kurzfilmreihe unter dem Titel „Artporn“ gibt, stiftet ein wenig Verwirrung. Werden hier nun dem selbst formulierten Prinzip gemäß die teureren Produktionen gezeigt? Keineswegs. Dass man auch unter dem Vorzeichen der Kunst für das Produktionsbudget in die eigene Tasche greifen muss, zeigen „Angel in the Toilet“ des japanischen Filmemachers Koichi Imaizumi und „Greedy Eyes“ von Anton Z. Risan. Aber was macht diese Filme nun zu Art? Und warum braucht es den Zusatz auf einem Festival, das ohnehin den Anspruch vertritt, Kunst und Porno einander näher zu bringen?
Was vielen Filmen gelang, die unter anderen Vorzeichen beim Festival liefen – zum Beispiel dem des Dokumentarischen, des Experimentellen oder des Feminismus – ging dem „Kunstporno“ leider ab. So erweitert die Road-Movie-Doku „Orchids. My Intersex Adventure“ den cineastischen Horizont für das Spannungsverhältnis von gesellschaftlicher, medizinischer und familiärer Identität der Intersexuellen Filmemacherin. „Mutantes“ von Virginie Despentes oder „The Advocat for Fagdom“ über Bruce LaBruce arbeiteten die diskursive Verstrickung feministischer und/oder homosexueller Politik mit Pornografie und Punk-Kultur auf. Und „Nude Study“ erzählt neben mehreren berührenden Lebensgeschichten auch noch in experimentierfreudigen Bildern von der Spannung zwischen bewegten Bildern und nackten Körpern.
Die Messlatte für Kunst-Porno liegt also hoch. Das Artporn-Showreel konnte diese Hürde leider nicht nehmen. Hier herrschten statt ästhetischem Aufruhr und politischem Diskurs eher experimentelle Langeweile („Let Me Entertain You“) und gescheiterte Provokation („Filetisierung“, „Mother of Pearl“). Im Katalog zu „The Porn Identity“, einer Ausstellung, die 2006 in der Kunsthalle Wien zu sehen war, vertritt Linda Hentschel „die These, dass Kunst und Pornografie keineswegs feste, sich gegenseitig ausschließende Kategorien, sondern ineinandergreifende Formen der Rhetorik sind“. Mit dem Artporn-Showreel spielten die Kuratoren diese Formen leider gegeneinander aus. Aber selbst das bleibt inmitten eines künstlerisch so anspruchsvollen Gesamtprogramms verzeihlich.