Das erste, was man beim Performance Art Festival in GlogauAIR zu sehen bekam, war ein nackter, behaarter, sich befremdlich an Kreide klammernder, blind durch den Raum tastender Mann – was meine Performance-Vorurteile in kürzester Zeit bestätigte. Trotzdem hatte die Performance von Nikhil Chopra etwas Fesselndes und auch Beklemmendes, wie er mal in dynamischen Bewegungen die weiße Wand mit seinem Kohlestück immer schwärzer werden ließ, mal wie ein verschrecktes Tier zusammengerollt in einer Ecke kauerte oder sich vorsichtig, mit stets verschlossenen und dramatisch schwarz ummalten Augen, kriechend in den Raum vortastete. Von kraftvollen Kreisen und Schleifen bis hin zu zaghaften Spuren und Punktierungen – blind die Wand erkundend verwandelte Chopra diese mehr und mehr zu einem den Raum dominierenden Gemälde, wobei die kraftvolle Führung der Kohle mit einer oder beiden Händen, Armen, oder eher mit dem Fluss des ganzen Körpers ihn immer wieder von einem zarten dunklen Kohleregen berieseln ließ und sich somit auch Körper und Boden zunehmend schwarz verfärbten. Der Verlust der Kreidestücke ließ den nackten Körper erst tatsächlich nackt werden, entblößt und hilflos, bis er sich schließlich wieder zu einem neuen rettenden Stück Kohle vorgetastet hatte. Nach drei Stunden hatte der Künstler noch immer keine Erlösung gefunden. Zwar hatte der Haufen aus Kohlestiften in der Ecke des Raumes erheblich an Größe verloren und sich die Linien an der Wand zu einem komplexen Gebilde verflochten, doch war noch immer kein Ende in Sicht. Glücklicherweise bieten die schönen Räume von GlogauAir Platz für weitere parallel stattfindende Aktionen.
Wie eine Persiflage der Spießbürgerlichkeit kam Yovo Panchevs Kunst daher. Der Künstler agierte in Anzughose, weißem Hemd und schicken Schnürschuhen vor einem Regal, das gefüllt war mit Büchern, Globen, kitschigen Vasen, Matchbox-Autos und was sich sonst noch im Laufe der Zeit im kleinen Eigenheim so ansammelt. Er zerlegte einen lackierten Holzküchentisch nur mit Hilfe eines Hammers und seiner Hände, um ihn dann in einer neuen Konstellation der selben Teile wieder zusammenzusetzen und ihm ein neues Dasein zu schenken.
Das Festival, das vom 9.-10. März in GlogauAIR stattfand, wurde im Rahmen des ELAA (European Live Art Archive) in Berlin organisiert. In diesem Zusammenhang verwies Heinrich Obst in seiner Kochperformance auf das Paradoxe, das dem Versuch der Archivierung von Live Art innewohnt. Über das Kochen einer Suppe in einem riesigen Topf erklärte er den naheliegenden Zusammenhang von Kunst, Performance, Archivierung, Gemüseschnibbeln und Europapolitik. Als eine weiße Plane als metaphorische Tischdecke von den Zuschauern quer durch den Raum gehalten werden sollte, war meine Nachbarin ganz begeistert von der Interaktivität dieser Performance – worauf ich mich wieder auf das Gemüse konzentrierte.
Holger Dreissig verwandelte sich bei anstrengend getragener Musik per Gummimaskenwechsel vom Teufel im roten Anzug und Sneakers zur Drachenbraut in Brautkleid und weißen Gummistiefeln, zertrampelte rohe Eier, rasierte sich den Bart und schmiss mit Kunstrosenblättern um sich, denn es war „time to marry me“, wie er schreibend dem Publikum mitteilte. Der passende Bräutigam ließ auf sich warten.
Sehr eindringlich hingegen war die Performance von Jared Gradlinger und Angela Schubot, die es sich zum Ziel gemacht haben, Körperlichkeit mit einem philosophischen und esoterischen Dialog zu verbinden. Unter schwerem Atem, nur mit einfacher Unterwäsche bekleidet, klammerten, streichelten, kämpften die beiden Künstler miteinander, wurden zu einem Körper aus zwei Teilen, die nicht mit und nicht ohne einander existieren können, sich zerstören, sich verzehren (im wahrsten Sinne des Wortes) und doch einander brauchen.
Die Auswahl für The Second soll eine Vielfalt von Performance-Projekten aus verschiedenen Kontexten präsentieren. Mit einer weiten Palette an Möglichkeiten wollen die Kuratoren durch die Präsentation von Transformation von Körper und Interventionen verschiedenster Art Verwirrung stiften, inspirieren und zum freien Denken anregen. Guten Appetit!