Neue Hörräume zu erschaffen und eingefahrene Hörerfahrungen aufzubrechen, das dürfte wohl der größte gemeinsame Nenner der Mitglieder des Jazzkollektiv Berlin sein. Aus dem Zusammenschluss der Ausnahmemusiker Gerhard Gschlößl, Marc Schmolling, Felix Wahnschaffe, Wanja Slavin, Philipp Gropper, Johannes Lauer und Ronny Graupe im Jahr 2007 wuchs somit ein gewichtiger Baustein der Berliner Jazzszene. Einmal im Jahr laden sie zu einem Festival des zeitgenössischen und avantgardistischen Jazz ein, um so einen momentanen Stand ihres Schaffens zu präsentieren: den Kollektiv Nights.
Jede Gruppe öffnet dabei eine andere Tür und überrascht das Publikum auf eine andere Art und Weise. Die Spannung und Energie auf der Bühne überträgt sich auch auf die Zuhörer, die sich mit Zwischenapplaus bemerkenswert zurückhalten, wohl um ja nicht die nächste Wende zu versäumen. Es sei denn, es kann nicht anders. Beispielsweise als beim Wanja Slawin Sextett der Kontrabassist Robert Landfermann mit einem atemraubenden Flageolett-Solo auf seinem fünf-saitigen Instrument brillierte. Ebenso verdient hätte es der überragende Trompeter Axel Dörner (Die Anreicherung), der seinem Instrument ungewohnt bildgewaltige Subtone-Klänge entlockte, die an dumpfe Vibrationen einer U-Bahnbaustelle erinnerten. Die detailreichen Kompositionen mit ihren zahlreichen polyrhythmischen Verschiebungen und Überlagerungen der Schlagzeuger und Instrumentalisten lassen Assoziationen mit Wanderungen im Hochgebirge einerseits und Spaziergängen am Strand andererseits zu. Hier brechen Akkorde und Harmonien in sich zusammen, nur um an anderer Stelle wieder rekonstruiert zu werden. Aber nicht nur die großen Sprünge erzeugen die Spannung. Beinahe noch aufregender sind die Erkundungen im Zwischenraum zweier Halbtöne, der in der europäischen Musikgeschichte ein Schattendasein fristet.
Mit der Faszination dieser Mikrotonalität befasst sich nicht nur das Benjamin Weidekamp Quartett, aber exemplarisch sei das beinahe binär erklingende Stück „seriell, nicht seriös“ herausgegriffen. Nicht zuletzt, weil die Kompositionen auf den Namen der Bandmitglieder basieren – und zwar ins Morsealphabet übersetzt! Ganz anders hingegen die Herangehensweise des Solisten Marc Schmolling, der sich „mit absolut leerem Kopf“ an den Flügel setzt und so die freie Improvisation des Freejazz mit den Techniken der intuitiven Musik verknüpft.
So bleibt zu hoffen, dass das Jazz Kollektiv Berlin genug Kraft hat, die Kollektiv Nights auch in den kommenden Jahren auszurichten. Dazu wünscht sich das Kollektiv nicht nur eine Förderung durch die öffentliche Hand, sondern vielmehr auch den direkten Zuspruch des Publikums. Deshalb sei es hier nochmals geschrieben: Konzerte des Jazzkollektiv Berlin sind wärmstens empfohlen.
Wer die nächsten Konzerte nicht verpassen will, dem sei der gut versteckte Newsletter ans Herz gelegt.