King of the KingsDie Wahrheit liegt in der Wüste (Freischwimmer 2011)

Foto: Gerhard F. Ludwig/Freischwimmer. Alle Rechte vorbehalten.

Fahren Muammar al-Gaddafi und sein Chauffeur zusammen durch Libyen und überfahren aus Versehen ein Huhn. Einer muss zum Bauern gehen und es ihm beichten, also zieht Gaddafi los und kommt schwer lädiert, vom Bauern verprügelt zurück zum Wagen. Die Reise geht weiter. Ein paar Orte weiter überfahren sie aus Versehen ein Schwein. „Diesmal gehe ich nicht“, sagt der Diktator und schickt seinen Chauffeur. Der kommt nach einiger Zeit ein bisschen beschwipst, fröhlich und mit Geschenken beladen zurück. Fragt Gaddafi: „Was ist passiert? Was hast du ihnen gesagt?“ Darauf der Chauffeur: „Ich sagte: Ich bin der Chauffeur von Gaddafi. Das Schwein ist tot.“

Es tut gut, in blutigen Zeiten über die Mächtigen zu lachen, die am längeren Hebel sitzen. Als die Lovefuckers ihr Stück „King of the Kings“ konzipierten, konnten sie noch nicht ahnen, wie sich die Ereignisse in Libyen überschlagen würden, aber Witze über den „crazy clown“ Gaddafi wird es auch dann schon gegeben haben. Der Chauffeur-Scherz ist allerdings ein ziemlich kleines Licht im Vergleich zu der krachenden Komödie, mit der das Freischwimmer Festival eröffnet wurde und die inzwischen sogar russisch-isrealischen Medienmachern einen Beitrag wert war.

Bei den Lovefuckers ist Gaddafi eine obszön-skurrile Theaterpuppe, die um sich selbst herum ein Stück inszeniert. Zwischen Flucht in den Untergrund und Flucht nach vorne kann er es auch in Zeiten der Revolution nicht lassen. „Ich muss mich weiterhin in der Öffentlichkeit zeigen“, lassen die Lovefuckers ihn sagen. Sie zeigen ihn beim Go-Go-Dance mit Berlusconi, beim Waffen-Einkauf mit internationalen Vertreter-Schurken („Bio is always better, you know“) und mit seiner Leibgarde auf dem Klo.

„King of the Kings“ ist ein bisschen „Libyen sucht den Superstar“ mit schillernden Kostümen, Kampf- und Tanz-Choreografien. Ein bisschen Action-Thriller als Puppentheater, mit Verfolgungsjagd und endlosen Salven aus der Plastikknarre. Es gibt einen fliegenden Teppich und jodelnde Schweizer. Die Bühne ist Gaddafis Spielplatz und als der nach den Kampfszenen verwüstet ist, ist der „Master of the Revolution“ verärgert. Er vergießt eitle Tränen, wenn seine Frisur nicht sitzt und verbreitet in seiner Lächerlichkeit trotzdem Todesangst beim (Bühnen-)Personal.

Den Ruf, der ihrem eigenen Genre vorauseilt, reflektieren die Lovefuckers ironisch-geschickt, wenn sie ihre Gaddafi-Puppe zu Beginn Kasperltheater mit dem Publikum spielen lassen. „Seid ihr auch alle da?“ – „Wa ʿalaikumu s-salām!“ In einer Mischung aus Erleichterung und Hilflosigkeit geben sich die Zuschauer der ausgelassenen Stimmung des Abends hin. Es ist ja auch unglaublich, dass die Anekdoten, die Regisseurin Ivana Sajević hier mit ihren Puppenspielern als Nummern aneinander gereiht hat, auf wahren Begebenheiten aus dem politischen Leben Gaddafis beruhen. Dass diese schräge Puppe seinen Auftritten in der medialen Öffentlichkeit erschreckend ähnlich ist – und das nicht erst seit die libysche Öffentlichkeit aufbegehrt. Und dass Gaddafi just in diesen Tagen Siegesfeiern vor Fernsehkameras inszeniert, die von den Auftritten seines Pappkameraden in „King of the Kings“ nicht all zu weit entfernt sind.

Aber müsste einem nicht gerade deshalb irgendwann im Laufe des Abends das Lachen im Hals stecken bleiben? Das tut es nicht, dafür ist das alles viel zu bunt und lustig. Und so verstärkt „King of the Kings“ unseren Sicherheitsabstand zum kriegerischen Geschehen in Libyen, das wir nur von Fernsehbildern kennen. Frei nach dem Festival-Motto „Rückzug ins Öffentliche“ muss man sich die Frage gefallen lassen, ob bei aller Medialität für den Zuschauer vor dem Bildschirm – oder der Bühne – noch irgendein Funken Verantwortung übrig bleibt? Oder ob wir uns mit den Informationen über das Weltgeschehen nicht nur tatenlos in Sicherheit wiegen? Ist Lachen die einzige Handlungsmöglichkeit, die bleibt? Immerhin etwas, könnte man sagen. Oder um mit dem Stück zu enden: „Die Wahrheit liegt in der Wüste.“

Schönschrift.org hat mit Regisseurin Ivana Sajević vor der Premiere gesprochen: Zum Interview.

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