Echt digital und unglaublich nahKunst global im Google Art Project


Wenn irgendwo ein neuer virtueller Raum aufmacht und die Weltöffentlichkeit davon Wind bekommt, dann gibt es stets erst mal eine lange Schlange und viel Gossip darüber, ob dies nun der endgültige Ausverkauf der echten, authentischen Realität ist oder doch der emanzipatorische Schritt ins Licht, den eben nur das Internet erzeugen kann. Man erinnere sich an das Versprechen von Second Life, dass dort nun schlichtweg alles möglich sei, was es auch im ersten, also wahren Leben gibt – nur, dass man selbst eine Andere sein konnte. Die Räume, die Second Life eröffnete und die dem nicht virtuellen Diskursraum erstaunlich schnell erstaunlich ähnelten (es ging um Geld, Werbung, Pornos, Mobbing), werden inzwischen nurmehr belächelt.

Dagegen haben virtuelle Blicke in tatsächlich existierende Räume – besonders wenn sie aus dem Hause Google stammen – Hochkonjunktur. Zwar gab es Wellen der Ablehnung, als Google Street View den eigenen Gartenzaun ablichten und digitalisieren wollte. Die Faszination, selbst via Google-Suche die halbe Welt zu bereisen, nahm daran jedoch keinen Schaden. Und nun landeten die Macher der Technologie einen neuen Coup: Das Art Project ermöglicht den virtuellen Gang durch 17  Museen rund um die Welt, inklusive Mega-Zoom in ausgewählte Werke und interaktiver Features für den Kunstsammler 2.0.

Es ist mit dem Art Project kein Problem, sich vom Museum of Modern Art in New York City direkt in den Palast von Versailles zu klicken. Von dort in die Uffizien nach Florenz und weiter in die St. Petersburger Eremitage. Die Zeitspanne, die man mit wenigen Klicks durchforsten kann, reicht vom Mittelalter bis zur Moderne, ein paar zeitgenössische Ausnahmen bestätigen die Regel.

Wen die alten Meister interessieren,  der wird in Googles Weltmuseum bei der Berliner Gemäldegalerie, in der National Gallery of London oder natürlich den Florentiner Uffizien fündig werden. Liebhaber der Moderne können sich im Museum Reina Sofia in Madrid, in der Frick Collection gleich am New Yorker Central Park und dem MoMA tummeln. Was Exotisches ohne Stäbchen, nämlich (südost-) asiatische Kunst, gibts in der Freer Gallery in Washington. Und wer ganz ohne Konzept und kunsthistorische Vorbildung in die Manege steigt, der tut gut daran virtuell ins Madrider Museo Thyssen zu reisen. Da gibt es auf etlichen Korridoren und Geschossen alles, vom goldgrundigsten italienischen Mittelalter bis zur nackten Pop-Art-Muse. Alles in einem Rundgang abzuhaken, sozusagen Weltreise und Kunstgeschichtsstudium im Schnelldurchlauf.

Was am Art Project fasziniert, ist aber nicht nur der Zugang zu den großen Museen der Welt via Mausklick, sondern die Einmaligkeit der Auflösung, mit der Google ausgewählte Werke – und zwar genau eins pro Haus – präsentiert. Bis zum Pinselstrich und Haarriss im Firnis kann man heranzoomen und damit den Blick des Museumsbesuchers gegen den des Restaurators oder Gutachters tauschen. Natürlich nur scheinbar, denn letztlich sitzt man immer noch vor dem Bildschirm.

Die Museumssprecher beeilten sich beim Launch des Projekts natürlich zu versichern, dass das neue virtuelle Publikum dem Strom der wirklichen Besucher keinen Abbruch tun wird. Die gingen nun entweder besser vorbereitet in die Ausstellungen, die sie ohnehin angesehen hätten, oder würden im besten Fall über die Facebook-Sammlungen ihrer Freunde mit Werken vertraut gemacht, die sie im Kunstunterricht nur anöden. Ob Google nun also ein neues Kunstinteresse weckt, die Schwelle der Institution Museum senkt? Oder ob durch das Art Project, wie es so vielen Web-Anwendungen vor ihm vorgeworfen wurde, nur die Wirklichkeit abflacht? Diese Fragen selbst bleiben doch sehr an der Oberfläche des Phänomens.

Man könnte stattdessen nach dem praktischen Nutzen des Projekts für Forschung, Lehre und Bildung fragen. Die Vorteile für diejenigen Kunstlehrer, Antiquare und Spezialisten, die ohnehin schon seit eh und je mit Reproduktionen arbeiten, welche sie aber heimlich selbst machen oder teuer erstehen mussten, liegt auf der Hand. Eine andere Frage könnte auf die Google-Plattform im Vergleich zu anderen digitalisierten Kunstkatalogen zielen, wie sie zum Teil von den Museen selbst angefertigt werden oder wie sie derzeit in dem europäischen Kulturprojekt Europeana zusammen getragen werden. Kritisch könnte man hinterfragen, warum Google sich ausgerechnet den klassischen Kunstgattungen widmet und nicht der seinem Kerngeschäft viel näher liegenden zeitgenössischen digitalen Kunst, die anders als die Van Goghs und Vermeers noch nach adäquaten Formaten der Präsentation und Archivierung verlangt.

Wer sich angesichts solch einer Themenfülle im Kontext des neusten Google-Coups auf die gute alte Dichotomie von digitalem und echtem Raum beschränkt, der verkennt, dass inzwischen für Generationen das Digitale eine ganz eigene Realität darstellt. Und dass in dieser Realität auch die Frage nach der öffentlichen Bedeutung und Zugänglichkeit von Kunst noch einmal neu aufgerollt wird, das bleibt zu wünschen.

In Schönschrift werden wir uns in loser Folge und aus unterschiedlichen Perspektiven den verschiedenen Aspekten des Google Art Project widmen.

2 Kommentare  Verschlagwortet mit , ,

2 Antworten auf Echt digital und unglaublich nah | Kunst global im Google Art Project

  1. Janin sagt:

    Da stellt sich mir die Frage in wiefern man das Google Art Project mit Walter Benjamins Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ in Verbindung bringen kann. Man könnte sich auf Benjamin beziehen und diese veränderte digitale Betrachtungsweise des Kunstwerks als Auraverlust bewerten. Folgt man Benjamins Gedanken, so wird das historische Kunstwerk durch die technisch reproduzierte Darstellungsweise wie im Google Art Project aus seinem metaphysischen Rahmen in einen sozialen gestellt und damit ein Stück weit politisch. Doch will/soll/darf Kunst politisch sein? Was also passiert mit der Kunst in diesem Kontext?

  2. email@rolfweidemann.de sagt:

    Merkwürdig, bei mir jedenfalls kommen diese digitalen Kunstwerke nicht „wirklich“ an. Liegt es daran, dass alles denselben Rahmen hat: 1024 Pixel breit und 600 Pixel hoch auf dem Monitor meines Netbooks? Ich schaffe es einfach nicht, davor zu sitzen und mich darin zu versenken. Allenfalls kann ich mit distanzierter Betrachtungsweise das letzte Detail pixelig machen und hoffen, so etwas vom Werk zu erahnen, was über das Detail hinausgeht. Mir gelingt es aber nicht.

    Ein Hilfsmittel für Spezialisten also, vielleicht. Jedenfalls für solche, denen weder der Begriff „Betrachtungsabstand“ aus der Perspektive noch der technische Begriff „Delta E“ bei Farbreproduktionen irgend etwas sagt. Und die selbst Bilder genauso seelenlos betrachten, wie die Scanner von Google.

    Dass die Abbildung hinter der Begegnung mit dem Objekt in der Wirkung weit zurück bleibt, ist eine Binsenweisheit der Mediendidaktik. Das gilt nicht nur für Brathähnchen.