Vermeintliche Glitches und andere Ausrutscher(transmediale 2k12)

Aufgestellte LED-Panels

in/compatible war das Thema. Auch wenn der Schrägstrich beide Varianten nebeneinander stellt, dominiert doch das Inkompatible und damit als erste Assoziation von uns „Usern“: Frust. Frust und Hilflosigkeit im Computeralltag, wie sie von jon.satrom als Einleitung zu seiner Eröffnungsperformance sehr treffend inszeniert wurde. Wir alle kennen diese Probleme, so ist die Botschaft, oder wie Kristoffer Gansing danach kommentierte: „Now we should all feel a little more at home“.

Nein, wir stimmen gerne zu, wenn Kurator Jacob Lillemose zur „Dark Drives“-Ausstellung sagt, dass Technologie uns „nicht einfach nur glatt und vernünftig gemacht“ habe. Es gäbe vielmehr „Schwierigkeiten und Unsicherheiten“, aber auch „aufsässige Fantasien und unbändige Expressivität“.

Wie also sollen wir mit diesen Spannungen umgehen? Die Fragestellung, aber auch die Unsicherheit steckt in unentschlossenen Schreibweise in/compatible. Sollen wir Distanz herstellen, durch eine Mystifizierung des Technischen? Oder sollen wir es verstehen, uns von der Unsicherheit emanzipieren und die Technik mit einer Art „Hacktivism“ instrumentalisieren?

My Generation von Eva und Franco Mattes

© Genz, Lindner, transmediale

Wenn Eva und Franco Mattes in ihrer Installation die Videos von Kindern aneinanderreihen, die vor dem Bildschirm vor Wut austicken, deklarieren sie sie als ein fremdes Anderes. Neben den Bildschirm ist noch ein zertrümmerter Computer drapiert. Kaputte Technik, kaputte Menschen. Eine ganze Generation. So fern und fremd, dass die Künstler lediglich ihre Spuren auf der Videoplattform YouTube zusammenklauben konnten. Eva und Franco Mattes reihen sich damit in eine lange Tradition des Technologie-Exotismus ein.

Neben ultimativer Frustration können Fehler in Computern dennoch auch ein kreatives Potenzial bieten, auf die der Ausstellungskatalog mit dem Schlagwort „Glitch“ referiert. Dieser Begriff (angeblich vom deutschen „glitschig“ abgeleitet) bezeichnet einen Ausrutscher, einen kurzzeitig wahrnehmbaren Impuls, verursacht durch einen Fehler in Hardware oder Software. In medialen Umgebungen können derartige Fehler hör- oder sichtbar werden und damit die meist sorgfältig konstruierte Oberfläche oder Illusion zerstören. Solche Glitches als eine „unruhige Energie“ zu zeigen, zu nutzen, zu zelebrieren scheint eine passende Herangehensweise an das in/compatible-Thema. Es gilt, sich dem Fehler auszuliefern anstatt ihn anzuprangern, oder, wie Lillemose es ausdrückt, den Zustand „nicht zu überwinden oder zu transzendieren.“

QTzrk von jon.satrom

Standbild, Störungen auf einem Bildschirm

© jon.satrom

QTzrk, im Katalog als „eine Art Mahlstrom aus Glitches“ bezeichnet, bedient sich auch diverser Störungs- und Rückkopplungseffekte. Aber ein Großteil des (immer wieder identisch geloopten) Videos zeigt keine Fehler, keine Ausrutscher, sondern bewusste Gesten. Wenn das Videobild aus dem Rahmen des Players „fließt“, oder Buttons beim Klick von ihrer Leiste „fallen“ sind das zwar Demontagen einer perfekten Apple-Oberfläche, aber keine Fehler. Aus der hermetischen Oberfläche eines Betriebsystemherstellers wird die neue hermetische Oberfläche eines Künstlers. Diese besteht unbestritten aus kreativen und interessanten Animationen, aber ob diese zu einer neuen „Sensibilität und Intelligenz“ gegenüber den „unruhigen Energien“ (Lillemose) anregen?

Error 502 404 410 von Marcelina Wellmer

Die Installation, drei Festplatten

© Marcelina Wellmer

Es gibt aber auch eine wundervoll produktive Herangehensweise an technische Probleme: „Wie klingen Computer-Fehler?“ ist die einfache Fragestellung, mit der Error 502 404 410 präsentiert wird. Drei Festplatten sind an der Wand befestigt, durch eine Plexiglasabdeckung kann man die normalerweise verborgenen Mechanismen von Platten, Lese- und Schreibköpfen sehen. Und winzige Mikrofone übertragen die Geräusche aus dem Inneren. Direkt auf den Magnetplatten sind die drei Geräte beschriftet: „404 Not Found“, „510 Bad Gateway“, „410 Gone“.

Die Aktivität der ansonsten versteckten Festplatten hör- und sichtbar zu machen ist grandios. Die Trägheit, mit der die Arme dieser Speicher mühsam nacheinander die gewünschten Daten ansteuern, wird normalerweise mühsam verborgen. Während viele Computer noch eine Kontrollleuchte besitzen, anhand derer der Nutzer sehen kann, dass der Rechner gerade die langsame Festplatte bemüht, hat Perfektionist Apple diese Leuchte konsequent von seinen Macs verbannt. Die Aktiviät der Festplatte wird geradezu geleugnet.

Warum die Künstlerin die drei Objekte aber willkürlich mit Fehlermeldungen beschriftet, die aus einem völlig anderen Bereich stammen, bleibt unverständlich. 502, 404, 410 sind Statuscodes aus dem Hypertext-Transfer-Protocol, dem berühmten „http://“. Mit ihnen antwortet ein Server auf gescheiterte Anfragen nach bestimmten Ressourcen. Diese Anfragen lösen nach verschiedenen Schichten der Weiterleitung, Zwischenspeicherung und Optimierung unter anderem sicherlich auch manchmal Festplattenaktivität aus. Die Antwort, wie diese Fehler klingen, kann die Installation aber nicht geben. Die drei Codes bleiben Dekoration, Mythos, Symbol.

Hinter Technologie steckt ein riesiges (Konflikt-)Potenzial. Sie erzeugt sehr greifbare Spannungen. Rund um die Welt wird um Deutungs- und Markthoheiten gerungen, zuletzt im Bereich Urheberrecht mit dem „Stop Online Piracy Act“ in den USA. Wirtschaftseliten und Hackereliten treten gegeneinander an. Wenn die Transmediale zukünftig nur die Schauwerte einer Künstlerelite beizutragen hätte, wäre das schade.

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