Für das Berliner Kunstzentrum Tacheles geht es mal wieder um die Existenz. Am Montag wurde ein fester Termin für die Zwangsversteigerung des begehrten Grundstücks bekanntgegeben. Das kollektiv verwaltete Zentrum ist nicht umsonst ein symbolträchtiger Streitpunkt im Berliner Kulturbetrieb, wurde das Gebäude doch vor über 100 Jahren als Einkaufstempel errichtet und befindet sich momentan ausgerechnet im Besitz der skandalerschütterten HSH-Nordbank.
Zufällig, aber nicht ohne Zusammenhang veröffentlichten Berliner Kunst- und Kulturschaffende gestern einen Offenen Brief, der sich an den regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit wendet. Sie kritisieren darin das Projekt „Leistungsschau junger Kunst aus Berlin“, mit dem Wowereit „die Debatte um eine ständige Berliner Kunsthalle beleben“ will. Die Unterzeichner stören sich zunächst an den Begrifflichkeiten der Ausschreibung: „Mit dem Wort „Leistungsschau“ wird die neoliberale Rhetorik von Effizienz und Leistungsfähigkeit auch auf die Kunst angewendet und suggeriert eine Objektivier- und Messbarkeit der Qualität künstlerischer Produktion.“
Dass der Ausschreibung zudem finanzielle und kuratorische Intransparenz vorgeworfen wird, ist bei öffentlichen Projekten Usus und nicht weiter spannend. Viel interessanter ist die Grundsatzfrage zur Finanzierung der Berliner Kultur, die der Text stellt. Wörtlich heißt es:
„Die internationale Anziehungskraft der zeitgenössischen Kunst trägt maßgeblich zur Attraktivität Berlins bei. Doch vom damit verbundenen Profit und Imagegewinn für die Stadt fließt wenig zu den Akteuren zurück, im Gegenteil: die realen Arbeits- und Lebensbedingungen Berliner KulturproduzentInnen verschlechtern sich zusehends […]
Berlin zeichnet sich gerade durch die Diversität und Dezentralität seiner kulturellen Infrastruktur aus. Projekträume und unabhängige Initiativen, Galerien und Kunstämter, Kunstvereine und Museen, sie alle tragen zur Lebendigkeit der hiesigen zeitgenössischen Kunst bei. Dies muss als positiver Wert nicht nur rhetorisch anerkannt, sondern finanziell langfristig sichergestellt werden.“
Ein Großteil der Berlin-Touristen landet sicherlich eher in der O2-Arena, bei Madame Taussaud’s oder bestenfalls im Deutschen Theater als in einer winzigen Galerie, aber dass die lebendige Kunstszene mit symbolträchtigen Institutionen wie dem Tacheles die Stadt attraktiv macht, ist nicht von der Hand zu weisen. Und der Hauptstadt-Tourismus boomt, 2009 wurde stolz als „bestes Tourismusjahr aller Zeiten“ resümiert (PDF), 2010 gab das Amt für Statistik monatlich immer neue Rekordmeldungen heraus. Und auch Wowereit findet das in der entsprechenden Pressemeldung natürlich super: „Ob Shopping, Kultur oder Sport, wir begeistern Touristen aus aller Welt und präsentieren uns als offene und liberale Metropole.“ Dabei die Frage nach der Lebenssituation derer zu stellen, die das kulturelle Bild dieser Metropole kreieren, drängt sich geradezu auf.
Unter dem markigen Titel „Hartz-IV-Stipendium“ hat sich vor einiger Zeit Pablo Hermann im Freitag der Thematik gewidmet und sich nicht weniger als den Grundbegriff künstlerischer Freiheit vorgenommen: „Wenn ein Künstler zur Erhaltung der Grundbedürfnisse berufsfremden Tätigkeiten nachgehen muss, um dann die „Freizeit“ für die künstlerische Produktion zu opfern, ist er nicht frei im Sinne der künstlerischen Autonomie.“
„Instabil, prekär, nur kurzfristig planbar und schwer kalkulierbar“ sei der Lebensunterhalt, stellt Hermann fest und verweist auf eine Studie, nach der 80 Prozent der Berliner Künstler nicht mehr als 11.000€ jährlich verdienten. In der (in die Jahre gekommenen) Originalmeldung vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung von 2003 findet sich die wirklich aussagekräftige Zahl: „Nur 35 % der Befragten leben ausschließlich von ihrer künstlerischen Tätigkeit.“
Die bestehenden Förderinstitutionen machen bei Kulturprojekten bisher keinerlei Vorgaben zur Entlohnung der Beteiligten. Unter Kulturschaffenden raunt man sich zu, bei Förderanträgen die Personalkosten ja nicht zu hoch aussehen zu lassen. In der Politik wird dieser Missstand höchstens hilflos diskutiert. Alive Ströver (Grüne), Vorsitzende des Kulturellen Ausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, sieht in einer Sitzung im August 2009 bei den Projektmitteln zur Förderung der freien Kunstszene noch keinerlei Annäherung an Mindestlohnstrukturen. Der rot-rote Senat bringe Antragsteller dazu, die Selbstausbeutung in ihre Anträge „hineinzuformulieren“. Sie fordert dazu auf, es nicht zuzulassen, dass in öffentlich geförderten Projekten unter Mindestlohn gearbeitet werde. (Protokoll, PDF)
Für eine Verbesserung fehlte aber damals das Geld, schließlich müssten die Fördertöpfe vergrößert werden, damit die Mindestlohn-Vorgabe den geförderten Projekten nicht das Genick bricht. Und so bestreiten weiterhin namhafte Berliner Festivals ihr Programm mit einem Team, das zur Hälfte aus Vollzeit-Praktikanten besteht, die trotz Hochschulabschluss höchstens 200€ monatliche Aufwandsentschädigung bekommen.
Viele dieser Kunst- und Kulturpraktikanten schließen bewusst ihr Masterstudium nicht ab, oder schreiben sich für irgendein zulassungsfreies Fach ein, um den Studentenstatus nicht zu verlieren. Ohne günstiges Semesterticket (Mobilität), ermäßigten Krankenversicherungsbeitrag (Gesundheit) und günstigere Theater- und Kinopreise (Weiterbildung) wäre das Leben als Kulturschaffender noch ein Stück schwieriger zu finanzieren. Ist das Studium dann doch einmal komplett abgeschlossen, winkt, wie im Freitag angedroht, zum Einstieg tatsächlich erstmal das Arbeitslosengeld II.
Über die Studierenden, die keine mehr sind und die arbeitslos gemeldeten Praktikanten findet gewissermaßen eine verdeckte Förderung von Kulturprojekten statt. Ein Dialog über die nachhaltige Förderung akzeptabler Produktions- und Präsentationsbedingungen, wie ihn der Offene Brief fordert, könnte tatsächlich einiges vom Kopf auf die Füße stellen.
In unmittelbarer Nähe des Tacheles liegt das Ausstellungshaus C/O Berlin, laut Selbstdefinition ein „Kulturunternehmen jenseits öffentlicher Förderung, dessen Finanzierung durch rein wirtschaftliche Tätigkeit erzielt wird.“ C/O Berlin hat in den letzten Jahren mit erfolgreichen Fotoausstellungen viele Besucher angezogen. Doch auch diese Institution muss im Frühjahr wohl seinen Standort verlassen. Gegen einen geplanten Hotelkomplex kommt selbst ein boomendes Kulturunternehmen nicht an.
Diese Geschichte über die Hartz 4 Reform ist langsam kaum noch zu ertragen. Wer blickt da noch durch?! Ich finde es schlimm was für eine Zeitverschwendung die Minister da vollziehen. Wer hat am Ende eigentlich was davon? Etwa der einzelne Hartz 4 Empfänger? Ich denke so wenig bringt doch niemandem wirklich was. Aber kosten tut das viel Geld. Ich denke der Ansatz sollte ein anderer sein. Das Ziel muss sein, jedem wieder einen Job zu beschaffen. Vielleicht sollte man mehr in die Arbeitgeber investieren.