CMMN SNS PRJCTÜber unsere Besessenheit (Freischwimmer 2011)

Cartoon

Illustration: Dan Perjovschi/Freischwimmer. Alle Rechte vorbehalten.

Common sense, der „Gesunde Menschenverstand“ ist eine Basis, auf die wir uns einigen können. Er verbindet uns alle. Wer sich auf den Common Sense beruft, muss seine Entscheidung nicht mehr rechtfertigen. Doch ist er auch Ausschlusskriterium: Wer  ihn nicht beherrscht, ist raus.

In ihrem CMMN SNS PRJCT begrüßen Laura Kalauz und Martin Schick ihr Publikum fast nackt und verteilen erst mal Geschenke. Mit körperlicher Blöße und dem großzügigen Transfer von Eigentum bedienen sie sich zweier Kommunikationswege, die bei uns allen zu funktionieren scheinen. Und setzen damit den Ausgangspunkt für eine Reise durch Mechanismen, die als Grundlage von gesellschaftlichem Handeln nur selten hinterfragt werden.

Eigentum und Besitz (juristisch streng verschieden) werden durchdekliniert: Die Performer verschenken Waren ans Publikum, ein Transfer von Eigentum findet statt. Die Performer mieten sich für die Dauer des Stücks Kostüme aus dem Publikum, sie ergreifen temporär Besitz daran. Die Performer vergeben Lizenzen an ihrem Stück, verkaufen virtuellen Besitz. Die Performer nehmen Darlehen beim Publikum auf, müssen immer wieder umschulden, sie drehen sich im großen Karussell des Meta-Kapitalismus der Finanzgeschäfte.

Das zeitgenössische Theaterpublikum lässt sich schnell in einen geschäftstüchtigen Modus versetzen. Als der kunst-blutende Protagonist ein Taschentuch braucht, darf er für das Stück Zellstoff schon mal 50 Cent ans Publikum löhnen. Und dass er sich das Geld zu horrenden Zinsen leiht, bis am Ende 20 Euro auf dem Schuldschein stehen, lässt diverse weitere Personen an dem simplen Geschäft mitverdienen. Der Vorgang ist ein aussichtsloses Schneeball-System? Na und, so lange es nicht ausgerechnet bei mir zusammenbricht. Der gesunde Menschenverstand wird vom gesunden Geschäftssinn besiegt. Es gibt scheinbar nicht nur einen Common Sense.

Neben der Geschäftstüchtigkeit darf das Publikum aber auch seine kulturelle Bildung beweisen. Eingestreute Fragmente (angeeignetes geistiges Eigentum, oho!) aus dem kulturellen Kapital (von „Krieg und Frieden“ bis „Titanic“) müssen identifiziert werden. Vom Common Sense zum Kanon ist es nicht weit, zur Belohnung winkt ein Los für eine Tombola, deren Gewinn niemand kennt. Es wird klar, dass wir eine Elite sind, die wir da im Hochzeitssaal der Berliner sophiensæle zusammen sitzen. Selbst plumpe Gags sind exakt auf die Vorbildung zugeschnitten, die uns die Teilnahme an diesem Diskurs ermöglicht: „What comes after contemporary dance?“ Kalauer, die die Theaterwelt bedeuten. Um aber wirklich gehört zu werden, muss im CMMN SNS PRJCT ein massiges Rednerpult erobert werden. Nur wer das Privileg der mikrofonierten Stimme erreicht, kann sich energisch mitteilen, bzw. mit-teilen: „I want to share something with you!“

Vom Rednerpult aus transportieren Kalauz‘ und Schicks Figuren dann Gegenmodelle. In Anlehnung an The Miniature Earth kalkulieren sie die Weltbevölkerung auf die anwesenden Theaterbesucher herunter: Von 100 Zuschauern wären 14 unterernährt. Dieses und weitere Gleichnisse könnten ehrliche Empörung transportieren, die beiden Vortragenden beziehen sie jedoch in ihr Spiel von Macht und Eigentum mit ein. Da wird vom anderen kopiert, das Rede-Manuskript verschenkt und dann zurückgekauft, gestritten bis zu Handgreiflichkeiten. Aus politischen Positionen werden handel- und verhandelbare Gesten.

Am Höhepunkt des Abends wird schließlich das komplette Stück selbst zur Handelsware: In einer Auktion können das Skript sowie die nicht-exklusiven Aufführungsrechte (für 50 Jahre!) von CMMN SNS PRJCT erworben werden. Die CD mit dem weichgespülten Lounge-Soundtrack inbegriffen. Und der Lizenzvertrag ist fast genau so lang wie das Skript.

Die Körper stehen trotz der kleinen Finte zu Beginn absolut nicht mehr im Mittelpunkt und dienen höchstens noch zu einer müden Tanz-Persiflage. Kunstblut ist nur Symbol für eine Notsituation, aus der sich Profit schlagen lässt. Während die Performancekunst der 70er Selbstverletzung als Konzept der Ansprache nutzte, entpuppt sich die angedeutete Selbstmordszene in CMMN SNS PRJCT als Zitat aus „Titanic“. Indem Kalauz und Schick die Mechanismen der Medien- und Konsumgesellschaft umarmen und konsequent anwenden, sind sie radikaler als jeder Rückzug auf den Körper es sein könnte.

Am Ende steht der Kassensturz und es reicht sogar noch für Freibier.

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