Angriff auf die Demokratie – Eine InterventionRomuald Karmakar zur Lage des Globalen (62. Berlinale)

Bild: Pantera Film (alle Rechte Vorbehalten)

Das System der Politik krankt – und damit alles, vom globalen, multinationalen, nationalen bis zum lokalen System. Schuld daran ist die Inszenierung. Dies ist eine der Botschaften die der Filmemacher Romuald Karmakar in seinem Berlinale-Beitrag aufzeigt. Dabei widersetzt er sich der Erwartungshaltung des Kinogängers, denn Karmakar hält sich als Filmemacher zurück, verwehrt sich einer filmischen Inszenierung im Sinne eines Eingriffs in das Quellmaterial. So wird aus dem Kinosaal ein Vortragssaal und aus dem Kinogänger ein Zuhörer einer Veranstaltung. Das Publikum im Kinosaal honoriert die Aussagen mit Applaus, ganz so, als wäre es selbst vor Ort, ganz so, als wäre es keine Aufzeichnung, sondern eine Liveübertragung. Der Film „Angriff auf die Demokratie – eine Intervention“ ist ein ungeschminkter Mitschnitt der gleichnamigen Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt aus dem Jahr 2011, der so nicht geplant war, wie Karmakar im Anschluss an den Film erläutert.

Erst im Nachhinein wurde aus dem hausinternen Mitschnitt und dem Rohmaterial für einen TV-Beitrag der Ablauf rekonstruiert, weshalb die Vortragenden nun überlebensgroß von der Leinwand blicken. Eine filmische Geste, die an anderer Stelle zu Diskussionen führen mag, sich in diesem Fall jedoch tatsächlich nur zufällig in die Präsentationsform einschreibt und zudem durch die Positionierung der Vortragenden zum gestellten Thema zusätzlich abgeschwächt wird. In alphabetischer Reihenfolge referieren also zehn Intellektuelle, Künstler und Publizisten vor einem schwarzen Hintergrund zur Lage der Demokratie, vor allem angesichts der Eurokrise.

Eine heikle Situation für die nichtgewählten Repräsentanten, die nun an unserer Stelle das aussprechen und damit auch greifbar machen sollen, was als Drohung in den alltäglichen Nachrichten mitschwingt. Wer kennt noch die Spielregeln, wer kann noch das System entwirren, fragen die Referenten und reihen sich mitsamt den Entscheidungsträgern und den Normalbürgern in die Reihe der Ahnungslosen ein. In Anbetracht der Rolle, die die Politik sowohl in der Bankenkrise als auch in der Finanzkrise spielt, und das sehr wahrscheinlich schon seit längerem, kann ihre Bilanz auch kaum anders ausfallen. Die geschlossene Gesellschaft aus Markt und Politik verquickt sich bis zur Unkenntlichkeit der Verantwortlichkeiten. So entziehen sich EU-Mitgliedsstaaten durch bilaterale Abkommen den Regularien des EU-Parlaments, verweisen jedoch an anderer Stelle auf eben diese Regularien. Das Ordnungssystem Demokratie entzieht sich zusehends seinen Souveränen, wenn es nicht wie beispielsweise die EU als von oben herab handelnd aufgefasst wird.

Der Tenor der Vortragenden ist einstimmig: Die Politik findet sich in den Fängen der Märkte, genauer der Finanzmärkte, wieder. Ratingagenturen und Börsenwerte bestimmen den Wert des Einzelnen und des Gemeinwohls schlechthin. Die Spekulation auf Gewinnerwartungen soll gerade jene Probleme lösen, die durch die Spekulation auf Gewinnerwartungen ausgelöst werden. Dass Demokratie jedoch Zeit braucht, um eine Lösung zu finden, die für den Souverän tragbar ist, Märkte jedoch keine Zeit haben, da die Börse ja bereits am nächsten Morgen aufmacht, ist ein Problem, das nicht nur Julia Encke ausmacht. Auch das perfide Vorgehen der Politik, sich in der Bankenkrise ausgerechnet die Expertise von Bankern einzuholen, wird immer wieder aufgegriffen. So verkommt die Politik zusehends zur Zurschaustellung, der Politiker selbst zum reinen Entwurf, dessen äussere Verpackung mehr Aufmerksamkeit bekommt, als die Auseinandersetzung mit dem Inhalt.

Friedrich von Borries Analyse des Politikers als Designprodukt könnte auf der Bühne des politischen Kabaretts gespielt sein. Allein nichts davon ist Satire, sondern mit dem Verweis auf die mediale Aufbereitung von Nichtigkeiten, wie die Kleiderwahl Merkels oder Schröders Haarfarbe, weitet sich die Kritik auf die alltägliche Wahrnehmung und damit die Konsumentenhaltung der Wahlbürger aus.

Das Luxusparfum in Form eines Molotowcocktails als Sinnbild einer kommerziell ausgeweideten Kapitalismuskritik ist nur eine Form unter vielen. Werbung suggeriert Nähe zum Verbraucher, um den Verbraucher zu binden. Emotionen helfen, um aus dem Gegenlaufenden einen Mitlaufenden zu machen. Levi’s lässt grüßen. Schwerwiegender erscheint dabei das Schweigen der Journalisten, das Versagen der Gelehrten, also das Duckmäusertum der sogenannten Eliten. Harald Welzer hinterfragt den blinden Fleck, den der Selbsterhaltungstrieb auslöst und den er selbstkritisch auch an seiner eigenen Biografie aufzeigt. Argumentativ unterfüttert mit systemtheoretischen Erkenntnissen zur globalen Wirtschaftsvernetzung, die an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich gewonnen wurden, lässt sich so ein eiserner Vorhang zwischen 149 Global Players und dem faktischen Rest der Welt ausmachen. Wen wundert es da noch, wenn die Politik sich als machtlos erweist? Oder, wie Nils Minkmar anmerkt, nicht mehr die Politikressorts über Politik berichten, sondern Journalisten aus den Ressorts Wirtschaft und Finanzen von den zahlreichen und doch zahnlosen Gipfeln zur Rettung der Welt berichten?

Der Film lässt Fragezeichen im Raum stehen. Bewusst. Denn der Film ist eine Speerspitze, die sich nicht nur gegen ein Oben auflehnt, sondern sich auch gegen den Speerträger richtet. Die Vortragenden hinterfragen ihre eigene Professionen und damit auch die Position der Zuschauer, die als Konsumenten von Waren und Dienstleistungen, als vermeintliche Nutznießer von Sparangeboten und hohen Renditen dem System bislang unkritisch gegenüberstehen.

Romuald Karmakar auf der BühneWas passiert nun anschließend mit diesem Film? Wird er in Programmkinos ein Schattendasein fristen? Derzeit, so Karmakar in der abschliessenden Publikumsdiskussion, laufen Gespräche mit den Produzenten über eine eventuelle TV-Ausstrahlung oder als Beileger in einer Tageszeitung, um so eine kostengünstige Distribution zu ermöglichen. Da unter den Produzenten auch ZDF und 3sat vertreten sind, sollte die Bereitstellung in der Mediathek möglich sein. Ob es jedoch zeitversetzt auch zu einer legalen kostenfreien Verteilung kommen wird, ließ der Filmemacher unbeantwortet. Es wäre wünschenswert, denn „Angriff auf die Demokratie – eine Intervention“ dient als Basis zu weiterführenden Diskussionen und damit auch zur Reflexion des eigenen Handelns.

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