Reflexion 1Den Sicherheitsabstand aufgeben

Auf Schönschrift.org gibt es seit einem guten Vierteljahr Notizen zur Hochkultur. Über 50 Artikel, neun AutorInnen und ein Preis, so lautet die zahlenmäßige Bilanz. Wir haben uns unter anderem in den Bereichen Film, Theater, Bildende Kunst und Kulturpolitik umgeschaut und regelmäßig schwer damit getan, Inhalte in nur eine dieser Kategorien einzuordnen.

Die Sparte „Über Uns“ gibt es bislang noch nicht. Wir hielten es für angebracht, erst über uns und unsere Schönschrift zu schreiben, wenn wir – und unsere LeserInnen – damit ein paar Erfahrungen in der Öffentlichkeit gesammelt haben. Wir haben uns in ein Experiment gewagt, dessen Ausgang wir trotz – oder gerade wegen vieler Pläne – nicht schon zu Beginn absehen konnten.

Nun sollen in der Kategorie „Reflexion“ Überlegungen zu unserem Blog, unseren Themen, zur Kulturkritik im Allgemeinen und unserem Schreiben im Speziellen angestellt werden. Wir freuen uns, wenn sich daraus eine Diskussion ergibt. Ein Austausch zwischen denjenigen, die Schönschrift.org bisher gelesen haben, den Schreibenden und denjenigen, über die geschrieben wurde. Für Kritik und Anregungen sind wir mehr als dankbar.

Schreiben und Kunst, das sind zwei Bereiche, die uns faszinieren und die so eng miteinander verknüpft sind. Wie schreibt man über Kunst? Wann ist Schreiben über Kunst Kritik? Wie beeinflusst es unsere Wahrnehmung von Kunst, was wir darüber schreiben (und lesen)? Wo ist die Macht versteckt in diesem Komplex? Und wie kann man an ihr rütteln? Florian Malzacher schrieb 2006 in der Zeitschrift Theater heute (3/2006):

Je diskursiger die Kunst, je weiter entfernt von romantischen Geniebegriffen und Werkhermeneutiken, je mehr sie selbst ihre Mittel reflektiert und offen legt, desto näher steht sie der Theorie und somit der Kritik.

Wir halten in unserer Themenwahl Ausschau nach „diskursiger Kunst“, die man in den Feuilletons häufig vergeblich sucht. Das Freischwimmer Festival mit seinem Motto „Rückzug ins Öffentliche“ ist dafür das beste Beispiel. Künstler wie Andcompany&Co. oder Max Ruf fordern ihr Publikum dazu heraus, den eigenen Sicherheitsabstand aufzugeben. Die Aufgabe von Distanz, die doch gerade für den Kritiker von so großer Bedeutung zu sein scheint, interessiert uns. Was passiert, wenn sich Künstler und Kritiker ganz nah begegnen? Wenn beide ihre eigenen Mittel reflektieren, akzeptierend, dass es kein Außen gibt, von dem aus man einen bequemen Überblick hat.

Dabei soll ein kritischer Blick natürlich nicht abgeschafft werden. Es soll aber doch ein produktives Neben- und Miteinander der Künste (als die man die Kritik doch auch bezeichnen könnte, oder?) einem vertikalen Bewertungsschema vorgezogen werden, das dem komplexen Gefüge aus Schreiben, Kunst und Wahrnehmung ohnehin nicht gerecht wird.

Wir als Schreibende geben unsere Deutungs- und Bewertungshoheit ein Stück weit auf, indem wir beispielsweise die Prozesshaftigkeit unserer eigenen Arbeit zeigen. Die Notizen, die wir zu vielen Artikeln veröffentlichen, sollen den fertigen Artikeln einen Teil ihrer Wucht nehmen. Sie zeigen, wie die Auswahl einiger Aspekte aus einer Fülle von Assoziationen zum „fertigen“ Text führt. Die verlinkten Lexikon-Seiten und Querverweise sind nicht nur ein Angebot an die Leser, sondern auch Recherchematerial. Die Veröffentlichung in Form eines Blogs im Internet macht es möglich die Prozesse des Lesens und Schreibens einander anzunähern, was im besten Fall darin gipfelt, dass Leser ihre eigenen Kommentare hinterlassen.

Damit wird wiederum der Text an den Film, das Stück, das Gemälde oder Foto angenähert, von dem er handelt. Kunstwerke werden nur ganz selten von einem alleine angeschaut und ihren Wert erhalten sie immer über den Austausch und die Übereinkunft. Wie seltsam, dass dem einsamen Kritiker, der von weit weg auf sie herabzuschauen scheint, eine so wichtige Position zukommt! Die Kommentarfunktion wurde auf Schönschrift.org bisher nur spärlich benutzt. Wir vermuten einen Zusammenhang zwischen dieser akzeptierten Einzelposition des Kritikers und der Zurückhaltung beim Kommentieren – und bitten diese aufzugeben!

1 Kommentar 

Eine Antwort auf Reflexion 1 | Den Sicherheitsabstand aufgeben

  1. Chapeau an die gesamte Redaktion und vielen Dank für die Texte.
    Ich will zwar ungern von den interessanten Reflexionen über Kritik und Distanz ablenken, aber oft ist das eben so mit den Kommentaren: Zumindest anfangs darf man fleißig fremde Seiten mit dem eigenen Senf verköstigen, bevor man ‚daheim‘ mit fremdem Senf versorgt wird.
    Und die Position eines Kritikers darf und soll hinterfragt, ergänzt und nicht einfach nur hingenommen werden.