Mit dem Kampfbegriff Analog Hole versucht die amerikanische Film- und Musikindustrie seit 2002, eine Lücke im Netz der Kopierschutzverfahren zu verkleinern. Durch analoges Überspielen und anschließendes Re-Digitalisieren lässt sich, nimmt man einen gewissen Qualitätsverlust hin, schließlich fast alles kopieren. Wie etwa in prä-digitalen Zeiten mit magnetischen Tonbändern. Durch strikte Gesetze und eng gesetzte Standards würden manche Interessengruppen die analogen Zugriffsmöglichkeiten auf Bilder und Töne so stark wie möglich einschränken. Doch diese Anstrengung ist paradox, denn an irgendeinem Punkt müssen die Inhalte in analoger Form an den Nutzer übermittelt werden. Die Bits müssen in Photonen und Schwingungen umgewandelt werden.
ӎ, ℝ und ⁋ thematisieren diese Spannung, die analoge Lücke, mit ihrem Projekt Skandle, das sie in der Open Design City der transmediale.11 vorstellen. Skandle überwindet den Kopierschutz des E-Book-Readers Kindle von Amazon auf eine sehr einfache Weise: Das Gerät wird auf einen Scanner gelegt und die aufgerufenen digitalen Seiten einzeln gescannt. Wie ganz normale Papierseiten. Und der aufwändige Kopierschutz, mit dem Amazon seinen Kunden sogar die Bücher ungefragt wieder vom Gerät löschen kann, ist machtlos dagegen.
Skandle ist technologisch kein großer Wurf. Im Gegenteil, auf ihrer Website stellen die Künstler ihre einfachen Methoden vor und fordern auf: „Make your own“. Aber das Projekt skandalisiert jene Konsequenz, den moderne Digital Rights Management-Systeme (DRM) eigentlich ziehen müssten: Die Wahrnehmung durch den Empfänger ist die letzte Lücke, die es zu schließen gilt. Am effektivsten wäre der Kopierschutz, wenn die Werke stumm blieben.
Das Thema der transmediale.11, RESPONSE:ABILITY, deutet nicht nur auf Verantwortung, sondern eben auch auf Fähigkeiten, abilities. Und die sind in einer Mediengesellschaft ständig in Verhandlung. Zu Skandle schreiben die Künstler: „Amazon’s Digital Restriction Management (DRM) is a system designed to take away rights you would typically have when reading a book. […] The price you pay for ‚convenience‘ is restrictions on your rights“ (Link im Original). DRM ist eine Technologie, aber sie funktioniert nur, weil Nutzer sie akzeptieren. Skandle ist kein alltagstaugliches Werkzeug zum Kopieren von E-Books. Aber ein Beitrag zur Frage, welche Möglichkeiten Leser mit ihren Büchern haben sollten.
Open Design City, noch bis Sonntag, 06.02.2011, Haus der Kulturen der Welt, Berlin.