„Die Welt ist einerseits voller Illusionen und Versprechungen und andererseits voller Enttäuschungen. Die Welt der Ornamente kann das gut transportieren.“
– Parastou Forouhar
Hübsch anzusehende, nette Muster, orientalisches Flair in knalligen Farben – doch was auf den ersten Blick als gelungener Entwurf für eine neue Basetti-Kollektion durchgehen würde, entpuppt sich auf den zweiten Blick als empörter Aufschrei. Denn jeder der schönen großen Schmetterlinge der Künstlerin Parastou Forouhar (Iran/Deutschland) trägt seine eigene traurige Geschichte, die sich dem Betrachter beim genauen Hinsehen unmissverständlich offenbart: Die roten Tupfer entpuppen sich als blutige Einschusslöcher in den Schutz suchenden Körpern einer Menschenmasse und die symmetrischen Punkte als gnadenlose Fadenkreuze auf am Boden liegenden Körpern. Gestalten und Symbole verschmelzen zu einer ästhetischen Ornamentik, die den Betrachter anziehen und erst auf den zweiten Blick mit dem Schrecklichen konfrontieren soll.
Forouhar verarbeitet mit ihrer Kunst die traumatische Ermordung ihrer Eltern und die Flucht aus ihrer Heimat. Ihre Arbeitsweise mit dem Computer unterminiert dabei die Tradition der altpersischen Ornamentkultur, in der die aufwändige Herstellung herkömmlicherweise mit einem intensiv-kontemplativen Prozess verbunden ist. Ohne die religiöse Hingabe aufbringen zu müssen bietet das Medium Computer der Künstlerin eine Oberfläche, die das Ornament von traditionellen Zwängen löst und zum camouflageartigen Ausdrucksmittel ihrer eigenen Stimme transformiert: „Die ornamentale Ordnung ist eine Parallele zu einem politisch-totalitärem System, beide Male wird jede Abweichung, wird Individualität zur Zerstörung, zerstört die Ausgewogenheit und damit das System wie eine Laufmasche“
Die Ausstellung Political Patterns zeigt, dass das orientalische Ornament weitaus mehr ist als reine Dekoration und Anmut. Tatsächlich bedienen sich viele zeitgenössische Künstler des arabischen Raums der vordergründigen Schönheit und Harmonie der ornamentalen Formsprache als politische Ausdrucksform. Im Zeitalter der Globalisierung vollzieht sich ein Wandel von Sinn und Zweck des Ornaments. Die Formen, verwurzelt in kultureller Tradition und konventionellen Sehgewohnheiten, transportieren subtil und doch mit unerbittlicher Schärfe Kritik an politischen und gesellschaftlichen Zuständen. Im Mantel scheinbarer Harmlosigkeit werden brisante Inhalte vermittelt; Ornament und Botschaft zelebrieren ein ambivalentes und kohärentes Bestehen miteinander, bei dem sich keines zu Gunsten des anderen auflösen soll.
Emotional bewegend und gleichzeitig verstörend sind die kleinen und doch unausweichlichen Arbeiten von Imran Qureshi. Ekel und Faszination, Zartheit und Härte, Schmerz und Hingabe reichen sich in den blutroten Werken die Hand. Und das im wörtlichen Sinne, denn der pakistanische Künstler bedient sich des elementarsten Mittels – seines Körpers – in dem er die zarten Linien der Abdrücke von Fuß und Hand mit detailliertesten Ornamenten verschmelzen und sie so in einen Dialog mit dem Leben treten lässt. Der klassisch ausgebildete Miniaturmaler bricht die Traditionen seines Handwerks, indem er die Technik ihrem eigentlichen Kontext entreißt. In der hohen Kunst der altpersischen Miniaturmalerei ist die Verwendung einer goldenen Fläche als Malgrund und das Aufgreifen der religiös-kontemplativen Ornamentik geradezu eine Provokation. Der Künstler möchte den traditionellen Materialien und Formen eine neue Bedeutung verleihen, indem er Schmuck und Blut in einen kontrastreichen Dialog treten lässt. Das Paradox zwischen Gewalt und Schönheit, zwischen Leben und Tod griff Qureshi, der u.a. auf der Singapur Biennale 2006 vertreten war, auch in seinen Performances auf.
Adriana Czernin (Bulgarien/Österreich) sieht in der Ornamentik eine Herausforderung an das Banale, Gewöhnliche. Sie greift die abgegriffenen und allgegenwärtigen Formen ihrer Lebenswelt auf und übersetzt sie in ihre eigene Bildsprache, lädt die dekorativen, repetitiven Linien mit Schwere auf und sieht in ihnen einen erdrückenden Wiederholungszwang und eine raumnehmende Aufdringlichkeit. In ihren Werken, in denen die ornamentalen Strukturen die Bildfläche erbarmungslos dominieren und die Figuren verdrängen oder verschlucken, reflektiert Czernin die Rolle der Frau in der traditionellen islamischen Welt.
Fast scheint es so, als hätte die Kuratorin vor zwei Jahren die geschichtsschreibenden Ereignisse des Frühlings dieses Jahres geahnt. Die gesellschaftliche Dynamik greift auch auf das Ornament in seiner Ambivalenz zwischen Ästhetik und Funktion, Freiheit und Diktatur über und lässt es zum gleichzeitig zarten wie kraftvollen Sprachrohr werden. Das Ornament zeigt sich in seiner ganzen Erhabenheit, in einem Streben nach harmonischer Wirkung und universaler Ordnung und ist im selben Atemzug hemmungsloses Ausdrucksmittel einer unbarmherzigen Wahrheit. Die Künstlerinnen und Künstler nehmen Bezug auf aktuelle Geschehnisse ihres Landes und üben Kritik am politischen und gesellschaftlichen System. Teils erschlagend, teils fast poppig und kitschig wirken dabei die Werke, wie z.B. bei der im Libanon lebenden Künstlerin Zena el Khalil, deren florale Ranken auf pinkem Grund mit Ikonen des Grauens verwachsen.
Philip Taaffe (USA) und Aisha Khalid (Pakistan) sehen Ornamente eher als unendliches Repertoire an Formen aus einem riesigen kulturellen Archiv, das sie stetig sammelnd erweitern, nutzen und verwandeln. Weitere vertretene Künstler/innen sind Doris Bittar (Libanon/USA) und Abdulnassar Gharem (Saudi-Arabien).
Political Patterns – Ornament im Wandel ist die dritte Ausstellung der Reihe Kulturtransfer der ifa-Galerien Berlin und Stuttgart. Die Reihe “thematisiert die wechselseitige Beeinflussung verschiedener Kulturen, die sich in gesellschaftlichen Normen, eingebürgerten Formwelten und künstlerischen Äußerungen ebenso niederschlägt, wie in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen“ – so Sabine Vogel, die Kuratorin der Ausstellung, die in Berlin leider nur noch bis zum 3.10. zu sehen ist. Wer eine kleine Reise nicht scheut kann die Ausstellung zwischen dem 21.10. und dem 18.12. 2011 in der ifa-Galerie Stuttgart besuchen.