Widmet sich ein Zeichner oder Maler dem nackten Körper, dann ist das Kunst, eine Aktstudie, Aktmalerei. Die Bildhauerei wäre ohne die Skulpturen nackter Körper von der griechischen Antike bis heute unvorstellbar und auch in der Fotografie hat sich die Aktfotografie als fester Bestandteil der Kunst etabliert. Und im Film? Da ist der gefilmte entblößte Körper dann Pornografie. Oder vielleicht doch auch ein bisschen Kunst? Mit dieser Frage sehen sich nicht nur Team und Publikum des sechsten Pornfilmfestivals in Berlin konfrontiert, sondern auch Sarah, die Protagonistin des australischen Film-Dramas Nude Study von Stefan Propescu.
Böse gezeichnet vom Schicksal und in einem Anflug von Hoffnungslosigkeit in Anbetracht des oft so banal erscheinenden Lebens macht sich die Filmemacherin Sarah auf den Weg vom warmen Australien ins verschneite Kanada, wo sie in einem kleinen Dorf nach Ablenkung und Inspiration für ihren nächsten Film sucht. Schnell knüpft sie Kontakte zu der heimischen Clique der Mitt-Dreißiger im Ort. Ihr sonderbarer neuer Job beim lokalen Video-Dating-Service beflügelt Sarahs Inspiration und lässt sie das Sujet ihres neuen Films finden: Aktstudien mit der Kamera. Was nun noch fehlt ist das Modell. Die resigniert verheiratete Linsdey wird zu ihrer Muse. Aus anfänglicher Scheu und dem professionellen Arbeitsverhältnis der beiden entsteht bald eine intime Vertrautheit mit einem wachsenden sexuellen Begehren zueinander, welches sich auch im kreativen Schaffen widerspiegelt.
Propescu erzählt die Geschichte mit den Augen der Filmemacherin, deren Kamera seit Kindesalter ihr treuer Begleiter ist. Die pittoresken Kameraeinstellungen der Beobachterperspektive werden immer wieder mit den Bildern des künstlerischen Schaffens der Protagonistin vermischt und reflektieren den voyeuristischen Blick durch die Kamera. Sehr gelungen ist hier zum Beispiel die Rückblende in die Kindheit, wo Sarah ihren Hasen vor der Kamera „performen“ lässt und anschließend auch seinen brutalen Tod durch eine Katze festhält, ohne einzuschreiten – fasziniert von Akt und Bildern. Das Thema von Leben und Tod zieht sich durch den gesamten Film. Immer wieder werden Sarah und der Betrachter mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert. Die Kamera dient als Mittel sich mit der allgegenwärtigen Endlichkeit auseinanderzusetzen und die Erfahrungen zu verarbeiten.
Neben menschlichen Abgründen und Schicksalsschlägen erzählt Propescu kontrovers eine gleichzeitig subtile wie auch zerstörend ehrliche Geschichte von Verlorenheit, Frust und der Suche nach einem Sinn im banal erscheinenden Kreislauf des Lebens. Ein oberflächliches Glück durch Sex, emotionale Abhängigkeit und Verletzbarkeit, Begierde, Zärtlichkeit, Liebe. Was nach einem etwas ausgelutschten Themenkatalog der ewig leidigen Themen unserer neurotischen Gesellschaft klingt, wird vom Regisseur nuanciert, aufrichtig und trotzdem schonungslos verpackt. Die Kulisse des verschneiten Kanadas und die Hitze der mit Schere und Aceton bearbeiteten Aktstudien bilden einen gelungenen Kontrast. Letztere erinnern fast an die Chronofotografie von Etienne Jule Marey. Wunderschön.