Willkommen im WM-DispositivBerichterstattung über Berichterstattung

Plötzlich bist du nicht mehr allein. Wenn ich sonst über Frauenfußball berichte – selten in Deutschland, zugegeben – bin ich der einzige, der das tut. Außer, es gibt etwas zu gewinnen. Dann kommen noch ein Lokalreporter und ein Fotograf. Sonst sind nur Freunde, Verwandte und Verrückte da. Es gibt genau zwei Informationsquellen: Die Aktiven und die eigene Anschauung. Sonst nichts. Schlecht für den Frauenfußball, man kann kein Geld damit machen (Könnte auch was Gutes sein, das ist hier aber nicht das Thema). Gut für den Journalisten. Es kommt allein auf ihn an. Und er entkommt dem Gefühl, ein Kollaborateur des Debord’schen Spektakels zu sein.

Im Sommer 2011 ist alles anders. Niemand ist mehr allein. Die Mediencenter sind ganz, die Pressetribünen halb voll. Die Mentalität der Meute ist eine seltsame Mischung aus Business-Zynismus, kreativer Beflissenheit und kosmopoliter Neugier. Wie schreiben wir über Frauenfußball? Wie wir über Fußball schreiben. Über das Spiel. All die Hintergrundgeschichten entstehen irgendwo in den Redaktionen, die Gender-Issues haben Stadionverbot. Außer es fällt einem gerade etwas Gescheites dazu ein: „Diese schwedische Spielerin hatte doch keine Punk-Frisur. Die hatte einfach hier auf der Seite ein bisschen die Haare rasiert. Da schreibst du doch nicht, die hat eine Punk-Frisur.“ – „Naja, schon.“ -  „Aber daraus machst du doch keine Geschichte.“ – „Wenn hier doch sonst keine Geschichte ist!“

Doch, es gibt schon welche. Zum Beispiel, dass Birgit Prinz ein Zacken aus der Krone gefallen ist. Dass Marta ein Genie mit Hang zum Wahnsinn sein soll, dass afrikanische Mannschaften nicht nur Trommeltänzer, sondern vor allem Knochenpolierer sind. Das sind die Fußball-Diskurse. Halb Klischee, halb über die Jahre narrativ verfeinerte und festgezurrte Dramaturgien. Das Dispositiv greift. Der Frauenfußball wird von einem Event-Veranstalter (der FIFA / dem DFB) in institutionelle, organisatorische, diskursive Strukturen, in ein Regelsystem gehoben, in dem sie (die FIFA / der DFB) sich bestens auskennen. Der Frauenfußball vielleicht etwas weniger. Egal, er schlägt sich gut.

Aber plötzlich findest du dich wieder, in diesem Brei aus kollektiv-journalistischer Informationsproduktion. Wir sind alle eine Agentur. Die Einheitsagentur der FIFA / des DFB. Da kann man sich gar nicht mehr gut schlagen, scheint mir. Schon nur der Hektik wegen, die sich einstellt. Sonst ist es ruhiger, dort draußen, wo der Frauenfußball seinen Alltag hat. Und ja, vielleicht versuchst du dort draußen manchmal, Dinge anders zu beschreiben, nicht die immer gleichen Diskurse zu proliferieren. Nicht, weil das ein anderes Spiel wäre, sondern weil es so angenehm still ist, in der Provinz einer peripheren Sportart. Weil das Dispositiv irgendwie gerade Pause macht oder noch nicht so weit gekommen ist.

Zum Gender-Ding nur zwei Bemerkungen: Erstens hat Alice Schwarzer Recht, wenn sie in der taz sagt sagt, es sei das Gleiche, den Frauen, was der DFB früher tat, das Spiel zu verbieten, weil man Angst um ihre Weiblichkeit haben müsse (davon hätte man bitte gern ein Bild), wie heute zu sagen, die Frauen dürften gerne Fußball spielen, sie müssten einfach weiblich bleiben dabei (wovon man gerade viel zu viele Bilder kriegt). Der Gedanke ist der Gleiche, nur das Argument geht anders herum. So sehr anders herum, dass es heute am häufigsten von den Spielerinnen selbst geäußert wird. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Disziplinar- und Selbstkontrollgesellschaft.

Zweitens: Erstaunlich, wie schnell in den Besprechungen (nicht in den Reporten) Versagen und Missfallen vergeschlechtlicht wird. – Schlechte Spiele? Drei Viertel der Partien bei großen Turnieren sind schlecht, egal wer sie spielt. – Fehlpässe? Hängt von individuellen Fähigkeiten ab. Louisa Necib hatte im Spiel gegen Kanada über 100 Ballkontakte, 90% ihrer Zuspiele kamen an. Ziemlich viel für jemanden, dessen Aufgabe es ist, den letzten Pass zu spielen. – Schlechte Leistungen der Schiedsrichterinnen? An Bundesliga-Wochenenden wird die Hälfte der Zeit über den Referee diskutiert. Manche von ihnen pfeifen so grotesk, dass man Unfähigkeit nicht von Korruption unterscheiden kann. Zudem sind Tore, die keine waren und doch gegeben wurden (oder umgekehrt), ein wiederkehrender Topos der Fußballgeschichte. – Ungerechtfertigte Aufmerksamkeit, Medienhype? Als wäre die Berichterstattung bei Männern gefasst und unaufgeregt. Jedes Spiel der deutschen Nationalmannschaft ist eingebettet in Schaumschlägerei, anders geht es gar nicht mehr. Welt- und Europameisterschaften sind ein Spektakel. Des schlechten Geschmacks, der Geldgier, der Großspurigkeit.

Da wären wir wieder. Neulich hieß es in der Süddeutschen, es sei eben doch nicht mehr als ein Spiel. Ein Spiel. Richtig. Und was ist ein Dispositiv? Eine Übertreibung.

Martin Bieri berichtet bis zum Finale für verschiedene Magazine und Zeitungen über die Frauen Fußball WM 2011: hier drei Beispiele. Für Schönschrift.org schrieb er bereits über die Fußball-Barbies, die der Spielwarenkonzern Mattel von Birgit Prinz und Silvia Neid produzierte.

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