Als Vorwarnung wird direkt zu Anfang durch Hinweisschilder auf den felligen Part verwiesen: Ein Hund wird im Stück über die Bühne laufen. Diesen bitte nicht streicheln oder füttern. Danke.
Corinna Korth ist Mitgründerin des selbsternannten Instituts für Hybridforschung und die meiste Zeit allein auf der Bühne zu sehen. In einer Art pseudo-wissenschaftlichen Vortragsweise, auf die jeder Start-Up-Business-Ganove stolz wäre, zwischen Videoinstallation und analogem Theater, klärt sie fachmännisch über ihre Unternehmung auf: Die Technisierung der Welt entfernt den Menschen von seinem Selbst, samt seiner physischen Möglichkeiten. Daher scheint eine Doppelidentität unumgänglich, mehr noch, der Hybrid Mensch-Tier sei das Wesen der Zukunft, das einzig überlebensfähige Wesen. Die Weiterentwicklung vom Mensch zum Tier sei also keine Rückentwicklung, sondern der nächste logische Schritt der Evolution.
Der Mensch flieht in die Technik und schwächt sich damit selbst in seiner Überlebensfähigkeit. In seiner Überheblichkeit hat er seine Natürlichkeit verloren und soll, eher noch: muss diese wieder erlernen. Der Fortschritt der Menschheit mündet in Mittelmäßigkeit, was ihn wiederum zur Gefahr für seine Umwelt macht, denn er muss sein mittleres Dasein ständig ausgleichen. Ein Frequenz-Hörtest zeigt uns qualvoll unser Unvermögen auf. Wildnis und Zivilisation lassen sich aber nicht so ohne Weiteres in Gottes Kochtopf zusammen panschen. Um der Sache näher zu kommen, sei auch eine optische Annäherung nötig. Diese wird hier live auf der Bühne performt. Mit Hilfe der Mendelschen Vererbungsregeln könne die Mutation geschehen oder, alternativ dazu, wie in diesem Fall, operativ.
Nun könnte man sich, um der guten Natürlichkeit Willen nahe zu kommen, ja auch in einen Regenwurm verwandeln lassen, oder meinetwegen in einen Tukan. Frau Korth möchte aber gerne zum ikonografisch stark besetzten Halbwolf werden, dieser scheint sich mit seinen Eigenschaften als Grenzgänger, der sich an keine zivilisatorischen Normen halten muss, besonders vom Menschen zu unterscheiden. Zudem lassen sich Wolf-typische Eigenschaften, wie Revier- und Rudelverhalten, schon seit jeher auch am Menschen ausmachen. Ganz davon abgesehen, dass ein Wolf viel besser sehen, hören und riechen kann. Das wissen wir spätestens seit Rotkäppchens Horrortrip in den Bauch des bösen Wolfes. Vielleicht hatte der das aber auch alles gar nicht so gemeint. Schwere Kindheit und so weiter.
Wie auch immer. Dieser Wolf hier ist eher positiv besetzt. Nicht zuletzt deswegen, weil die Tierwerdung hier aus freiem Willen passiert. Schrittweise können wir die Verwandlung der Corinna Korth beobachten. Videomaterial zeigt sie bei einem Arzttermin, die chirurgischen Eingriffe scheinen so normal wie John Travoltas Nasen-OP in der Mittagspause des L.A.-Alltags. Auch an klischeebehaftete Handgriffe ist gedacht: Die schnappenden Einweg-Handschuhe des „Chirurgen“ im Video sagen „Jetzt geht’s los! Let’s mutate!“. Anders als in den tradierten Horrorbildern der Werwolf-Werdung, bei der das Tier im Menschen brutal durch Adern und Haut bricht, spielt sich der Vorgang hier recht klinisch ab.
Narkotisiert begleiten wir Frau Korth durch ihre transluzide Hybridwerdung. Schuhe verwandeln sich in Pfoten und eine mechanische Stephen Hawking Stimme fragt: „What makes you swop?“. Halb Mensch halb Wolf erinnern die Videobilder an verstörende Fotografien Diane Arbus‚. Eine abgewandelte Version von Jefferson Airplanes Song WHITE RABBIT trägt zum diesem Trip bei. „When logic and proportion / have fallen sloppy dead“ scheint hier zur gewünschten Ent-Domestizierung zu führen.
Der dramaturgische Bogen spannt sich schließlich bis zur Live-Mutation. Mit Hilfe von Schwester Anna und Fr. Dr. Jessen vollzieht sich der finale Akt. Frau Korth wird zum Hybridwesen und zeigt gleich mal ihre Zitzen zum Beweis.
Die neu gewonnene Wildheit geht einher mit einer neu gewonnenen Freiheit. Die Krone der Schöpfung wurde gegen Fell ausgetauscht. Wir bestimmen unsere Spezies selbst, auch wir sind Grenzgänger – so wir uns denn trauen. Rotkäppchen-Opfer-Stellung also durch Wolf-Werdung umgehen. Die Marzahner Junggangster wären stolz auf uns.
Zuletzt ist Corinna Korth „viele, vereint Rudel und Meute“ in sich. „Ein Cyborg ohne technische Störung“, sagt sie. Dieses Angebot stehe nun, dank ihres Instituts, allen offen und wie so oft im Leben ist dabei die Furcht der Kompass durch die Evolution. Am Ende ist man fast enttäuscht, dass die Verwandlung nicht wirklich geschehen ist. Man hat sie sich so gewünscht.
Die Zuschauer reagieren zögerlich. Ich glaube, nicht nur ich wollte eine echte Mutation sehen. Mit dem Statement „we never howl alone“ wird deutlich, was schon von Anbeginn in der Ferne glimmerte: Unsere Krise der multiplen Identitäten reflektiert sich in den Sonden und Skalpellen der Tierwerdung wider. Immerhin soll es dadurch möglich sein, seinem wahren Ich etwas näher zu rücken. Stellt sich nur die Frage, wie man das mit dem Fell Mutti erklären soll.
Furry Species läuft heute, am 12.03. noch einmal um 21:00 in den Berliner sophiensaelen
martinortega, ein weiterer Battle-Blogger ist deutlich enttäuscht von dem Stück: