Ein etwas ramponiertes Buch wird wie auf einem Altar präsentiert, die weißen Seiten sind an den Rändern grau befleckt. Nur eine der ersten Seiten ist farbig, aber sie wirkt zufällig, als wäre das Buch nur als Unterlage beim Malen verwendet worden. An der Wand dahinter ist ein grauer, verknitterter Lappen aufgehängt.
Die Ausstellung „Billy“ ist nicht auf Erklärungen aus. Nur einen einzigen Abend zeigten Max Ruf und Jan Kiefer im Berlin-Neuköllner Limbus Europae ihre Arbeiten, ohne Beschriftung, ohne Titel, ohne Katalog. Erst im Gespräch mit dem Künstler („Entschuldige, darf man darin blättern?“) offenbart die Installation „W.R. 2010″ ihre Tiefe.
Vor uns liegt eines jener „Fotobücher“, die jeder Digitalfotoanbieter zum Selbstgestalten anbietet. „Ihre Fotos als echtes Buch“¹ und „Kinderleicht bedienbare Software“² sind die großen Versprechen – und sie verdrängen die letzten manuellen Handgriffe der Fotokultur. Auswählen, Einkleben und Beschriften finden nun auch am Rechner statt.
Man merkt im Gespräch, dass Ruf, der als 82er-Jahrgang noch eine komplett analoge Fotografie kennengelernt haben dürfte, diese Entwicklung beschäftigt. Das ausgestellte Fotobuch hat er mit Azeton so lange bearbeitet, bis die Druckpigmente wieder von den Seiten gerieben waren. In dem benutzten Lappen bleiben sie als graue Mischung zurück. Die Seiten zeigen nur ganz selten noch schemenhaft die Umrisse von Gesichtern. Die fotografisch festgehaltenen Erinnerungen sind grauer Dreck geworden.
Das IKEA-Regal „Billy“, das Namenspate für die Ausstellung war, ist Metapher für einen Umgang mit Gestaltung geworden: Alltagsgegenstände werden in Massen industriell gefertigt, gleichzeitig aber mit großer Geste als individuell und besonders verkauft. Gegen die ganz professionelle Verfügbarkeit von Erinnerungen stellt Ruf nun die Wieder-Auflösung. Das Perfekte, Fertige wird mit aufwändiger und schmutziger Handarbeit sorgfältig seiner vorgesehenen Bedeutung beraubt.
Gleichzeitig berührt die Arbeit die Materialität von Malerei, Fotografie und Druck. Die Aktion dieser medialen Praktiken ist die Verteilung von Farben auf einer Fläche, egal ob als Träger der Bildinformation Farbpigmente oder Silbersalze dienen. Die Entstehung dieser Information, die wir unter gewissen Umständen „Kunst“ nennen, geschieht aber in völlig verschiedenen Prozessen. Dass in „W.R. 2010″ nun auf Fotos basierende Digitaldrucke mit Lösungsmittel wieder in eine Form der Malerei überführt und eindeutig als „Kunst“ inszeniert ausgestellt werden, ist trotz der zunächst destruktiv erscheinenden Geste eine verbindende Arbeit, die zwischen den Kategorien wechselt. Auch in anderen Arbeiten bedient sich der Künstler bei Tonerpigmenten oder misslungenen Drucken.