Vor dem Berlinale Palast der rote Teppich, Paillettenkleider und Limousinen – verzaubernde Filmluft. In den Kinos, ein Stockwerk tiefer, im Martin Gropius Bau, im Marriott Hotel und im Berliner Abgeordnetenhaus findet nebenher neun Tage lang der European Film Market statt. Eine Filmmesse, auf der entschieden wird, was in Europa im kommenden Jahr in den Kinos und auf den Fernsehkanälen gespielt wird.
Knapp tausend Filme von über fünfzig Produktionsfirmen werden gezeigt, über tausend Filmeinkäufer besuchen die Vorführungen. Gut fünfhundert Messestände von Verleihen, Filmförderungen und Produktionsfirmen ziehen sich im Martin Gropius Bau durch die Ausstellungshallen und Flure. Am spanischen Stand wird Schokolade, am deutschen Notizblöcke und am litauischen Stand Vodka verschenkt. Wer Geld hat, mietet sich hier einen großen Messestand, kleinere Produktionsfirmen müssen mit dem Marriott Hotel vorlieb nehmen, das etwas versteckter liegt. Lässt man dortt den Blick durch die Hotellobby schweifen, kann man das pausenlose „meet-and-greet“ der Film-An- und Verkäufer beobachten. Die Frauen hübsch zurecht gemacht, die Männer im Anzug – so sehen die Verkäufer aus. Auf der anderen Seite die Käufer, Fernsehsender und Verleihe; das sind die Individualisten mit verstrubbelten Haaren, Alkoholfahnen vom Empfang am Vorabend, Coffee-to-go Becher in der Hand, die in den Vorführraum stürmen und ihn meist auch nach drei Minuten wieder verlassen.
Für die potenziellen Käufer mieten die Produktionsfirmen Kinosäle. Auch hier gilt: Wer Geld hat, leistet sich das Cinestar oder Cinemaxx, wer bescheidener sein muss, bucht einen der zum Kino umgewandelten Konferenzräume im Marriott. Das Spektrum der Filme, die dort – oft erstmalig – gezeigt werden, ist groß. Es geht von Hochglanz-Hollywood-Produktionen, die oftmals schon amerikanische Verleihe haben und nun ihr Glück in Europa versuchen, bis zu südamerikanischen Low-Budget-Produktionen, bei denen der Ton noch nicht fertig abgemischt ist und deren neueste Version erst zwei Minuten vor Screening-Start eintrifft.
Generell gilt: Tauchen bekannte Namen in der Besetzungsliste auf, ist auch das Interesse an einem Film sehr hoch. Spielen nur Unbekannte, muss die Produktionsfirma über ein gutes Marketingkonzept, kostenlose T-Shirts oder aber charmante „Sales Agents“ im Minirock verfügen. Verlassen Käufer bereits nach drei Minuten den Saal, muss dies jedoch nichts Schlechtes bedeuten, wie der Sales Manager einer japanischen Firma erklärt: „Wenn ein ‚Buyer‘ nach kurzer Zeit das Screening fluchtartig verlässt, bedeutet das entweder: Der Film ist schlecht, oder aber er will ihn sofort kaufen!“. Welches Kino die großen Hollywood-Produktionen mit Star-Besetzung abgreift, bestimmt letztendlich auch der Geldbeutel des Verleihs.
Erst bei einem zweiten Blick in die Hotellobby, wird die Spannung unter der perfekt geschminkten Oberfläche der Sales Agents sichtbar. Trotz lockerer Weißwein-Schorlen-Atmosphäre sind alle permanent mit Telefon und iPad beschäftigt, potenzielle Käufer werden schon in dem Moment angeschrieben, in dem sie den Vorführsaal betreten. Es wird deutlich, dass die Verkäufer unter einem enormen Druck stehen ihren Film auf den Markt zu bringen. Dieser Druck entlädt sich dann schon mal an den Filmvorführern, wenn der Film vermeintlich nicht optimal auf der Leinwand präsentiert wird. Auch über die Einkäufer der Filme hört man, der Job könne in Sekundenschnelle ein toller Job gewesen sein. Bleibt der erwartete Kinoerfolg aus oder sind die Einschaltquoten geringer als erwartet, ist auch der Job weg.
Auch auf dem Filmmarkt geht es wie auf anderen Märkten knallhart um das Geld, um das Handeln, um den Verkauf. Beim Lauf über den roten Teppich, den man auf der Berlinale auch als Normalsterblicher im Besitz einer Eintrittskarte genießen kann, scheint danach die Kinoluft plötzlich etwas entzaubert.